Ein tiefer Schnitt

Skandinavische Autor:innen sind dafür bekannt, ein Händchen für ansprechende Thriller und Kriminalromane zu haben. Im Fall von Elisabeth Herrmann handelt es sich zwar um eine deutsche Autorin, die aber die Szenerie Norwegens ebenso gut zu nutzen weiß wie ihre Kolleg:innen: Mit „Ravna. Arktische Rache“ legt Elisabeth Herrmann nun den dritten Band der Reihe um die samische Polizeistudentin Ravna Persen vor. Die Lektüre zeigt schnell: Der dritte Teil der Nordic-All-Age-Thriller-Reihe steht den bisherigen in nichts nach und sorgt abermals für Spannung vor beeindruckender Kulisse.

Der norwegische Nationalfeiertag steht kurz bevor – und mit ihm spitzen sich die Ereignisse rund um einen Vorfall, der über 20 Jahre zurückliegt, zu. Im Mittelpunkt der Geschehnisse: Ravnas Mutter Hedda und ihr Vater Rodmar, der die Familie vor rund 18 Jahren verlassen hat und der in Ravnas Erinnerung kaum mehr ist als eine vage Ahnung. Mit dem unerwarteten Besuch Rodmars in Oslo und der plötzlichen Kontaktaufnahme zu Ravna wird sprichwörtlich eine Lawine losgetreten. Denn eine junge Norwegerin versucht, Ravnas Eltern umzubringen. Ihr Motiv bleibt lange im Unklaren und wirbelt eine Geschichte auf, die Hedda und Rodmar bis heute versucht haben zu verdrängen.

Wie auch schon in den ersten beiden Teilen der Reihe gelingt es Elisabeth Herrmann, Wissen rund um die Kultur der samischen Bevölkerung zu vermitteln, in dem sie viele Aspekte eng in die Handlung einwebt. Zu keiner Zeit wirkt dieses Vorgehen gekünstelt. Vielmehr hat man als Leser:in den Eindruck, Geschichte und Kultur mit der Handlung automatisch aufzusaugen. So erklärt sie unter anderem Bräuche, berichtet von traditionellen Gesängen, Trachten und Ernährungsgewohnheiten. Ein wichtiges Moment, das die Autorin immer wieder aufgreift, ist der nach wie vor tiefgreifende Konflikt, der zwischen dem Volk der Samen und Norweger besteht.

Die Familie der Hauptprotagonistin ist hier ein perfektes Beispiel: So gilt die Rentierzüchterin Hedda als Traditionalistin, die Vorbehalte gegen „die Norweger“ hat und kein Interesse an städtisch geprägtem Lebenswandel zeigt. Ravna selbst steht vor der Herausforderung, sich als Samin nicht völlig zu verlieren und ihre Herkunft zu respektieren, während sie als angehende Polizistin mit den Vorurteilen ihrer nicht-samischen Mitmenschen zu kämpfen hat. Sie muss sich jeden Tag aufs Neue behaupten, um ihren eigenen Weg zu gehen, tritt als Vermittlerin zwischen beiden Parteien auf und zeigt zugleich Bewusstsein für die Benachteiligung der Samen innerhalb der norwegischen Gesellschaft. Dies zeigt sich nicht nur in Gesprächssituationen zwischen ihr und ihrer Familie, sondern beispielsweise auch dann, wenn es um die samische Presse oder die Behandlung von Samen im Rahmen einer Untersuchungshaft geht. Als weiterer Aspekt wird die unterschiedliche Positionierung von Samen und Norwegern in Hinblick auf Umweltzerstörung und Klimakrise äußerst subtil eingeflochten.

Die Autorin hat vor Ort recherchiert und den Kontakt zu unterschiedlichsten Ansprechpartner:innen gesucht, um fundiertes Wissen in ihrem Werk verarbeiten und vermitteln zu können. Allein hierfür schon lohnt sich die Lektüre von „Ravna. Arktische Rache“ ungemein. Nicht zuletzt handelt es sich aber selbstverständlich um einen Thriller, der sich als wahrer Pageturner erweist. Der Plot ist leicht zugänglich und sorgt direkt ab der ersten Seite für einen Spannungsbogen, der es in sich hat. Aufgewirbelte Geschehnisse aus der Vergangenheit in den lebensfeindlichen Höhen arktischer Gebirge, eine schmerzende Begegnung mit einstmals geliebten Menschen, Verdächtige, die sich lieber größten Gefahren aussetzen als die Wahrheit über verdrängte Taten zu gestehen: Das Ganze eng verknüpft mit Schilderungen der arktischen Landschaft Norwegens und dem wuseligen Stadtleben in Oslo.

Ein atmosphärisch dichter, packender Thriller und ein Must-Read für alle, die gute Krimis mit kleineren Plot-Twists lieben.

Elisabeth Herrmann: Ravna. Arktische Rache, cbj, 20 €