Eine Aktiengesellschaft für das zweite Reich

Aufgelesen (21): Otto Soykas Roman „Die Traumpeitsche“.

1921 erschien Siegmund Freuds Studie „Massenpsychologie und Ich-Analyse“. Im gleichen Jahr veröffentlichte der Wiener Rikola-Verlag ein Buch, das die wissenschaftliche Theorie bereits literarisch umzusetzen schien. In Otto Soykas Roman „Die Traumpeitsche“ wird das Unterbewusstsein im großen Stil manipuliert. Um die Welt ein Stück besser zu machen – und um jede Menge Geld zu verdienen.

„Ich schreibe von mir selbst.“ Der erste Satz deutet an, dass hier jemand Rechenschaft ablegen will und entschlossen ist, sein Handeln zu analysieren, dessen Motive zu entschlüsseln und die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen. Die Bereitschaft zur Selbstkritik unterscheidet den Protagonisten Erich Imra von seinem Gegenspieler Helmut Palm, der sein ganzes Dasein in den Dienst eines end- und grenzenlosen Gelderwerbs gestellt hat.

Ihre Mittel aber sind dieselben und das nicht nur, weil der Eine sie dem Anderen eines Tages stiehlt. Imras seltsamer Versuch, die Träume der Menschen durch Drogen zu beeinflussen, um ihnen auf diesem Wege ein höheres Rechtsempfinden zu verabreichen, ruft fast zwangsläufig Palms gewinnbringende Idee einer „Aktiengesellschaft zur Traumverwertung“ auf den Plan. Aus moralischer Sicht könnte man der Erziehung den Vorzug vor der Ausbeutung geben, doch Else Larris, die von beiden Erzfeinden umschwärmte Schauspielerin, sieht das ganz anders:

Aber deine eiserne Güte, deine tote Gerechtigkeit ist mir furchtbarer als Palms Schlechtigkeit, als sein Unrecht. (…) Das ist doch nicht mehr Reichtum! Palm – das ist die ganze Welt, das Glück, mehr hat das Leben nicht.

Auch gute Absichten können den Verlust der Freiheit und Entscheidungsfähigkeit nicht kompensieren und so verliert Erich Imra verliert die Frau seines Lebens schließlich an einen Drogentraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Weil sie ihn in der realen Welt nicht mehr lieben kann, beschließt er, selbst in das „zweite Reich“ zu fliehen.

Ich werde nochmals den Traum von Liebe schaffen, und ich schaffe ihn für mich. Im zweiten Reich gibt es kein Miteinander. Aber ein Nebeneinander gibt es.

Gehirnwäsche und Traumdrogen

Schon der „Zukunfts-Kriminalroman“, den Otto Soyka 1911 unter dem Titel „Die Söhne der Macht“ veröffentlichte und drei Jahre später verfilmen ließ, kreist um die Frage, wie Menschen mithilfe psychologischer Methoden und synthetischer Drogen beherrscht werden können. „Moderne Verbrecher“, so sinniert der Erzähler, hätten es nicht nötig, physische Gewalt anzuwenden, wenn sie einen „Dietrich zum Gehirn“ ihrer Opfer besäßen. In der zehn Jahre später entstandenen „Traumpeitsche“ hat sich Soyka nicht nur sprachlich und stilistisch weiterentwickelt. Aus dem vorhersehbaren, oft schwerfällig inszenierten Gedankenspiel der „Söhne“ ist ein phantastischer Roman geworden, der mit einer nicht komplett ausgereizten, aber doch facettenreichen Handlung, drei interessanten Figuren und überraschenden Wendungen aufwartet.

Die düsterste Vision ist gleichzeitig die modernste – scheint doch die „Aktiengesellschaft zur Traumverwertung“ für eine spätere Zeit entworfen zu sein. Dem Autor komme das „ungedankt gebliebene Verdienst zu, das Motiv einer Massengehirnwäsche durch Traumdrogen in die moderne kontinentaleuropäische (SF-)Literatur eingeführt zu haben“, meint der Kulturwissenschaftler Clemens Ruthner. Soyka beschreibt in diesem Zusammenhang mit bemerkenswerter Weitsicht, wie die Traumpeitschen die Wahrnehmung und das tatsächliche Verhalten der Menschen verändern – ohne dass diesen bewusst wird, was mit ihnen geschieht. Derweil ist Palm fest davon überzeugt, dass sich „die Wirklichkeit von heute“ in seiner Person manifestiert – und nirgendwo sonst.

Er sah mich lange prüfend an. Nie hatte ich seine Lebenserfolge so gut begriffen als in den Sekunden, wo diese hellen, klaren, grauen Augen auf mir ruhten. Das war die Welt der Wirklichkeit in diesem Blick, der Wille zum Sieg und zum Erfolg. War ich wirklich nur ein Träumer in dieser Welt, in der man über Leichen ging?

Ein schreibender Psychosoph

Otto Soyka wurde 1881 in Wien geboren und publizierte bereits als Jugendlicher erste journalistische Texte. Karl Kraus gewann ihn für die „Fackel“, später arbeitete Soyka auch für andere renommierte Zeitungen und Zeitschriften wie etwa die „Neue Freie Presse“, das „Berliner Tagblatt“, die „Vossische Zeitung“ oder den „Simplicissimus“. Außerdem schrieb er Erzählungen, Theaterstücke und eine Reihe populärer Kriminalromane – oft mit fantastischem Einschlag und Science-Fiction-Elementen. Für die Ermittlung des Täters in der Geschichte „Das Glück der Edith Hilge“, die 1913 in mehreren Fortsetzungen erschien, setzte der Verlag eine Belohnung im Gesamtwert von 100.000 Mark aus und verwies darauf, dass es sich hierbei um „das Vielfache unserer größten literarischen Preise (des Schiller-Preises, des Raimund-Preises u. a.)“ handele. Verdienen könne sich den Preis, „wer psychologisch begabt ist und ein gefälliges Darstellungstalent hat“.

1933 wurden Otto Soykas Bücher in Deutschland verboten. Er floh über Italien nach Frankreich, konnte aber nicht in die USA weiterreisen, weil seine dort lebende Tochter sich weigerte für ihn zu bürgen. In der Folge scheiterte auch der „Stiefvetter“ Albert Ehrenstein, dem Soyka den Spitznamen „Psychosoph“ verdankte, mit dem Versuch ein Affidavit zu organisieren. Er überlebte das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg, konnte nach 1945 aber nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Der Bericht seiner Emigration „Einer floh vor Hitler“ wurde nicht veröffentlicht, für publizierte Romane bekam er wegen fehlender Devisen kein Honorar. In den letzten Jahren blieb Otto Soyka nicht viel mehr als der Besuch im Kaffeehaus und das geliebte Schachspiel. Am 2. Dezember 1955 erlitt er in der Straßenbahn auf der Wiener Ringstraße einen schweren Herzinfarkt und verstarb noch am selben Tag.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nur ein Roman Otto Soykas neu aufgelegt. 1995 nahm der Suhrkamp-Verlag „Die Traumpeitsche“ in seine „Phantastische Bibliothek“ auf. Sie ist heute nur noch antiquarisch erhältlich – so wie alle anderen Bücher des Autors, sofern sie nicht verschollen oder ungedruckt geblieben sind.