Eine Pilgerflasche aus Aachen

Weltweit gibt es nur vier Behältnisse mit vergleichbaren Darstellungen – eines von ihnen befindet sich im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte. Das rund 500 Jahre alte Souvenir sollte an den Wallfahrtsort Aachen erinnern und diente zur Aufbewahrung von „heiligem“ beziehungsweise „heilendem“ Wasser.

Schon seit der Zeit Karls des Großen im 8. Jahrhundert war Aachen als Wallfahrtsort mit seinen vier, im Dom aufbewahrten Tuchreliquien die bedeutendste Pilgerstätte nördlich der Alpen. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts gipfelte die Verehrung in der sogenannten Heiligtumsfahrt, während der die sonst im Marienschrein verschlossenen Heiligtümer den Pilgern präsentiert werden. Zu den alle sieben Jahre stattfindenden, mehrtägigen Feierlichkeiten kommen Gläubige aus aller Welt zusammen, um das Kleid Mariens, die Windel Jesu, das Lendentuch Christi sowie das Enthauptungstuch Johannes des Täufers sehen zu können, da der Anblick dieser Reliquien Segen, Heilung und Erlösung verspricht.

Mit dem immer größer werdenden Andrang von Pilgern in der Stadt Aachen entstand im frühen 15. Jahrhundert bald ein wahrer Wallfahrtstourismus, da mit den Reisenden auch der Bedarf nach Devotionalien in Form von Pilgerzeichen, Flaschen und aus Blei gegossenen Wallfahrtsspiegeln stetig stieg. Die ersten Souvenirläden wurden rund um den Aachener Dom gebaut und es herrschte ein reger Handel, um den hohen Bedarf an Erinnerungsstücken an die Heiligtumsfahrt zu decken.

Da alles in Handarbeit gefertigt werden musste, brauchte eine Werkstatt die Zeit von sieben Jahren zwischen den Heiligtumsfahrten, um ausschließlich Produkte für den nächsten Pilger-Ansturm zu fertigen. Insbesondere die neu aufkeimende Technik des Bilddrucks revolutionierte die Herstellung von Devotionalien aus unterschiedlichen Materialien, da sie es den Handwerkern ermöglichte, selbst filigrane Motive in großer Stückzahl herzustellen.

Ein Beispiel für solch ein Souvenir aus Aachen ist die Pilgerflasche aus der Sammlung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, deren dekorative Besonderheit in den aufgebrachten Bilddrucken zu beiden Seiten besteht. Das runde Behältnis wurde in flacher Feldflaschenform in hellgrauem Ton gebrannt und erhielt eine unterschiedlich farbige, glänzende Glasur. Zu beiden Seiten gibt es Ösen für einen heute verlorenen Trageriemen aus Leder.

Die Vorderseite zeigt einen Engel, der das Kleid Mariens und zwei weitere Tuchreliquien präsentiert. Darunter ist das Wappen der Stadt Aachen zu erkennen. Ein Fries von Lilien umgibt die Darstellung, die durch einen Blattkranz von dem umlaufenden Schriftband getrennt wird. Diese Inschrift lautet: „Coept I fles van aken ter spoet en hout d‘ in heylich water tes goet.“ Übersetzt wurde der Satz mit: „Kauft eine Flasche aus Aachen sogleich und haltet darin heiliges Wasser, das ist gut.“

Rückwärtig erinnern Abbildungen des Heiligen Papstes Cornelius sowie darunter ein Wappen an die Wallfahrt zum Kloster Kornelimünster. Rechts ist der Maastrichter Heilige Servatius mit Petrusschlüssel, Kelch und Patenen dargestellt. Zunächst wurden die Darstellungen je in Holz, Stein, Metall oder Ton geschnitten, um Model für die weitere Gestaltung zu erhalten. In dieses Model konnte dann mehrfach das Material (Ton, Papiermaché, aber auch Marzipan und Hostien) gedrückt und nach dem Antrocknen entnommen werden. Anschließend wurden die einzelnen Formen auf dem Untergrund positioniert und verklebt, mit Stempeln und Punzen – zum Beispiel in Sternen- oder Buchstabenform – versehen und im Töpferofen gebrannt. Die Anordnung der Reliefs und die Verzierungen durch Punzen konnten durch diese Technik vor dem Brand variiert werden.

Ein Exemplar billiger Massenware ist diese Pilgerflasche trotz Verwendung der Vervielfältigungstechnik des Bilddrucks dennoch nicht: vielmehr stellte sie für den wohl eher wohlhabenden Käufer eine Kostbarkeit dar, die für den Transport von etwas ebenso Kostbarem, nämlich von heiligem und heilendem Wasser, dienen sollte, worauf die Umschrift hindeutet (s.o.). Die geringe Anzahl der erhaltenen Exemplare zeugt ebenfalls von einem schon damals höheren Wert der Flasche. Weltweit finden sich lediglich drei weitere Pilgerflaschen mit gleichen Darstellungen in leichter Variation. Zwei der drei Objekte finden sich im British Museum London und im Birmingham Museum and Art Gallery. Eine weitere Flasche wurde bei Ausgrabungen in Leiden gefunden.

Im Juni 2028 wird die Heiligtumsfahrt wieder unzählige Pilger nach Aachen locken, um die historische Präsentation der vier Tuchreliquien mitzuerleben. Und auch dann werden wieder extra zu diesem Zweck hergestellte Souvenirs verkauft – wie schon seit bald 700 Jahren.