Postkarten gelten heute als nostalgisches Auslaufmodell. Dabei lösten sie bei ihrer Zulassung 1870 eine regelrechte Revolution der Kommunikation aus. Das schnelle, moderne Medium begeisterte vor allem junge Leute. Mit seinem Bestand von fast 22.000 Motiv-Postkarten bietet das „Archiv Historische Bildpostkarten“ der Universität Osnabrück einen ungeahnt spannenden Überblick sowohl über das Medium selbst als auch über den gesellschaftspolitischen und kulturellen Background in den gut 150 Jahren ihres Bestehens.
Postkarten seien eine für die Forschung bisher nicht wirklich erschlossene Quelle – „Dabei gibt es nichts, das es nicht auf Postkarten gibt“, erklärt Prof. Dr. Dietrich Helms, verantwortlicher Projektleiter vom Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik an der Universität Osnabrück, und verweist auf koloniale Postkarten, Schallplattenpostkarten, Duftpostkarten oder Postkarten auf Baumrinde. Sie zeigen alle denkbaren Motive, darunter auch solche, die den heutigen Betrachter entsetzen – wie etwa eine Szene mit dunkelhäutigen Menschen, die offenbar gelyncht wurden.
Die Osnabrücker Sammlung umfasst vornehmlich Motiv-Postkarten zu den Themen Musik, Gender, Musik & Propaganda und verzichtet weitestgehend auf typische Ansichtskarten. 2010 wurde sie der Universität Osnabrück von der Musikwissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Sabine Giesbrecht als Schenkung überlassen. In den Räumen der Universitätsbibliothek Osnabrück können die Bestände nach Vereinbarung eingesehen werden. Seit 2001 wird an der Digitalisierung und Präsentation der Sammlung im Internet gearbeitet. In Planung ist zudem ein Buch zur wissenschaftlichen Forschung auf der Grundlage von Postkarten.
Längst haben Redakteure, Autoren, Journalisten, Wissenschaftler und Ausstellungskuratoren den Wert der Motiv-Postkartensammlung erkannt und fragen nach geeigneten Illustrationskarten für Schulbücher, Ausstellungen, wissenschaftliche Publikationen, TV-Sendungen. Und zwar weltweit!
So verwendete ein japanischer Autor Postkarten aus der Sammlung für sein Buch über Beethoven. „Das Belegexemplar konnten wir zwar nicht entziffern, aber unsere Postkarte haben wir natürlich wiedergefunden“, erzählt Helms stolz.
Sammel-Sucht
„Angefangen hat alles, als ich nach ergänzenden und attraktiven Bildern für ein neues Musik-Schulbuch suchte.“ Der Zufall führte die spätere Begründerin des Archivs, Prof. i.R. Dr. phil Sabine Giesbrecht, auf den Berliner Flohmarkt in der Straße des 17. Juni. „Was ich fand, hat mich elektrisiert: Hunderte Bildpostkarten, nicht nur mit Liedern, Tänzen und Märschen, sondern einen ganzen Bilder-Kosmos mit witzigen, originellen und informativen Abbildungen vor allem über die Zeit des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik. Ich habe mit den Händlern gefeilscht und gekauft, soviel ich konnte. – Und jetzt bin ich sammelsüchtig.“
Geheime Botschaften
Das Postkartenmotiv und der umseitige, geschriebene Text stehen natürlich häufig in einer Beziehung. Die zum Teil sehr persönlichen und intimen Botschaften sind aber oft nur für den Empfänger zu entschlüsseln, da sich Geheimbotschaften verstecken. Was gemeint ist, muss nicht explizit ausgedrückt werden, weil die Assoziation des Motivs dies leistet.
Geheime Botschaften wie „Ich liebe Dich“ fanden sich beispielsweise auch häufig unter den Briefmarken. Diese Form der Kommunikation erinnert an heutige Botschaften per WhatsApp und auch die Postkartenschreiber/Innen früherer Zeiten waren überwiegend junge Menschen, was sich z.B. durch die Anrede „Fräulein“ zeigt.
Ein interessantes Beispiel für die Korrespondenz zwischen Bild und Text ist diese Postkarte mit einer nackten Isolde im Wald:
Der Text auf der nach 1905 datierten Karte lautet: „Mein kleines Schnuggi. Gefiele mir ganz gut Isolde nur nicht gar so rötlich soll sie sein“.
Als der Postmann elfmal klingelte
Vor hundert Jahren und mehr dienten Bildpostkarten der Information. Sie erzählten, berichteten Neuigkeiten, machten regionale Sehenswürdigkeiten und Ereignisse bekannt, porträtierten bekannte Persönlichkeiten, darunter viele Musiker, und verbreiteten vor allem außerordentlich viele alte Lieder.
Im Ersten Weltkrieg waren die illustrierten Liedpostkarten besonders beliebt. Bilder und Liedtexte intensivierten die Kommunikation zwischen Front und Heimat, wurden allerdings in vielen Fällen auch zu Propagandazwecken eingesetzt, erläutert Giesbrecht. „Und“, ergänzt Helms, „in der Kaiserzeit wurde in Berlin 11 x täglich Post ausgetragen. Will sagen: Die Postkarten erreichten ihre Empfänger ‚blitzschnell‘.“
(Mehr als) 150 Jahre Postkarte
1870 wurde die Postkarte im Norddeutschen Bund, dem Vorläufer des Deutschen Reichs, zugelassen und erfuhr durch den deutsch-französischen Krieg sogleich einen rasanten Aufschwung. Insbesondere Menschen, die des Schreibens (von Briefen) nicht so mächtig waren, nutzten dieses Medium nun zum Verschicken von kurzen Grüßen, Nachrichten und Lebenszeichen.
Zunächst waren auf den Karten nur einfache „Motive“ aufgedruckt, das eine ganze Seite ausfüllende Motiv wurde dann erst in den 1890er Jahren freigegeben. Drüber hinaus fungierten Postkarten immer auch als Experimentierfeld der Druckereien, die neue Druck-/Farb-verfahren ausprobierten und entwickelten. Die Postkarte fungierte also auch als eine Art „Technologietreiber“ und verrät so interessante Details über die Entwicklung der Drucktechnik.
Die für 2020 vom Archiv Historische Bildpostkarten geplante Ausstellung „150 Jahre Postkarte“ fiel aufgrund von Umbaumaßnahmen in den vorgesehenen Ausstellungsräumen und Corona leider aus. Hier hilft aber ein Blick auf die Internetseiten des Museums für Kommunikation Berlin, wo die Geschichte von der Entstehung, Entwicklung und Vielfalt eines Mediums digital nachzuerleben ist. Mit über 200.000 Exemplaren besitzt die Museumsstiftung Post und Telekommunikation eine der größten Postkartensammlungen Deutschlands.
Link zum Archiv Historische Bildpostkarten: https://bildpostkarten.uni-osnabrueck.de