Eine Schnapsidee mit Folgen

Napoleon sei Dank: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts durfte nicht mehr nur in den Städten, sondern auch auf dem Land Korn gebrannt werden. Die im Brennereiprozess anfallenden natürlichen Abfälle fanden als Dünger und Viehfutter Verwendung und sorgten für höhere landwirtschaftliche Erträge. Viele Menschen aber führte der fortwährende Genuss des Branntweins in die Alkoholabhängigkeit und oft genug in den Ruin. „Vom Korn zum Korn“ – unter diesem Motto informiert das Kornbrennerei-Museum im westfälischen Saerbeck über die Geschichte der Brennerei und veranschaulicht außerdem den ausgeklügelten Produktionsprozess.

Die Einführung der Gewerbefreiheit durch die Franzosen eröffnete auch der westfälischen Landbevölkerung ab 1807 neue Möglichkeiten. In der kleinen Gemeinde Saerbeck (Dorf am wasserarmen Bach) suchten die Landwirte angesichts der kargen Heidesandböden schon länger nach alternativen Einnahmequellen. Mit der neu verordneten Gewerbefreiheit durften sie sich nun neben der reinen Rohbranderzeugung (96 Vol.%) auch der bisher den Städten vorbehaltenen Veredelung ihres Brandes, dem Feinbrand (ca. 32-38 Vol.%), widmen.

Das Kornbrennerei-Museum

„Diese Möglichkeiten wusste auch der Saerbecker Landwirt Ferdinand Casper Dalmöller geschickt zu nutzen“, erzählt Josef Berkemeier vom Heimatverein Saerbeck. Das Korn für die Brennerei konnte er selbst produzieren und die im Winter beim Brennen abfallende Schlempe wieder an sein Vieh verfüttern. Mit dem selbst produzierten flüssigen Kraftfutter konnte er seinen Viehbestand aufstocken und mit dem Mehr an dadurch anfallendem Mist zusätzliche Flächen düngen. Eine Unternehmensstrategie, die auf Wachstum ausgerichtet war.

Dämpfen, maischen, destillieren

Bei der Brennerei fand Getreide Verwendung, das für die Ernährung nicht benötig wurde. Weizen, Roggen und Buchweizen in wechselnden Mischungen wurden zunächst gedämpft, um die Getreidestärke aufzuschließen. Beim anschließenden Maischen wurde durch Zugabe von Malz die Stärke in Zucker umgewandelt, bevor die Zugabe von Hefe den Gärprozess einleitete. Die abschließenden zwei Destillationsvorgänge ergaben am Ende den gewünschten Feinbrand. Erst nach der Zugabe von Trinkwasser wurde der nun trinkfertige Branntwein in Flaschen abgefüllt. Mit der beim Dämpfen entstehenden Abwärme wurde zudem eine Kartoffeldämpferei betrieben, in der die Bauern ihre Kartoffeln dämpfen ließen, um sie hinterher an ihre Schweine zu verfüttern.

Die Destillierkammer mit Fein- und Rohbrennsäulen – im Hintergrund der Maischbottich

Einen Teil des Rohbrands verkauften die Brennereien an die staatliche Monopolstelle und sicherten sich damit ein garantiertes Grundeinkommen. Lediglich der Rest wurde als Feinbrand direkt verkauft. Daran fanden immer mehr Menschen Gefallen. „1815 gab es im 1.600 Einwohner zählenden Saerbeck drei Brennereien und etwa 20 Kneipen“, berichtet Berkemeier. Auf Flaschenetiketten wurde angesichts des üblichen Kaufs ganzer Gebinde vielfach verzichtet.

Wenn Hochprozentiges allgegenwärtig ist

Nicht jeder Mensch war den Folgen des nahezu überall erhältlichen hochprozentigen Getränks gewachsen. Mit den Jahren etablierte sich der tägliche Konsum von Hochprozentigem vor allem bei Tagelöhnern, Arbeitern und Handwerkern, auch weil Branntwein lange Zeit als Nahrungsmittel angesehen wurde und in vielen Fällen Bestandteil der Entlohnung war.

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Alkohol betrug im nahe gelegenen Osnabrück im Jahr 1875 beachtliche 17 Liter (6,3 Liter waren es 1873 im gesamten Deutschen Reich). Hier verursachte die Gründung der Osnabrücker Actien Brauerei im Jahr 1860 aber auch eine Kehrtwende: Der abnehmende Schnaps- korrespondierte mit steigendem Bierkonsum.

Etikett für Doppelkorn

Auch im kleinen Saerbeck erkannte der amtierende Bürgermeister Schlamann Handlungsbedarf. Er verordnete am 7. Februar 1833 eine Polizeistunde, in der es ab 22.00 Uhr untersagt war, Hochprozentiges auszuschenken. Gasthäuser mussten um 22.00 Uhr schließen und auch während der sonntäglichen Gottesdienste. „Diese Verordnung soll in der Kirche bekannt gemacht und in jedem Wirtshaus der Gemeinde Saerbeck angetroffen werden“ hieß es abschließend in der Verordnung.

Wer seinen Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle hatte, musste mit weitreichenden Folgen rechnen. Verhaltensauffälligkeiten, die polizeilich registriert wurden und mit Geld- oder Haftstrafen endeten, führten zur öffentlichen Stigmatisierung als Trunkenbold. Da in den Gasthäusern keine Alternative zu den alkoholischen Getränken ausgeschenkt wurde, waren „Trunkenbolde“ auch aus weiten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Die Teilnahme an gemütlichen Treffen mit Freunden sowie an Vereinsversammlungen war ohne den Konsum angebotener alkoholischer Getränke kaum möglich. „Darüber hinaus hingen in den Gasthäusern sogenannte Säuferlisten aus, in denen diejenigen namentlich aufgeführt waren, denen der Alkoholkonsum strengstens untersagt worden war“, ergänzt Berkemeier.

Von der Brennerei zum Museum

Agnes Niehaus führte die Brennerei in Saerbeck, die seit 1903 im Handelsregister unter dem Namen „Brennerei F.A. Dalmöller“ geführt wurde, noch bis 1976 weiter. Danach verkaufte sie die Brennrechte für 115 hl Alkohol zum Preis von 38.500 DM an eine andere Brennerei. Das seiner Nutzung beraubte alte Brennereigebäude aus der Gründerzeit überließ sie sich selbst, sodass es allmählich verfiel. 1992 wurde es unter Denkmalschutz gestellt und in jahrelanger, ehrenamtlicher Arbeit kernsaniert. 1998 konnte der Heimatverein Saerbeck „sein“ Kornbrennerei-Museum eröffnen und freut sich auf das 2023 anstehende 25-jährige Bestehen.

Verkaufsraum

Stolz zeigen und erklären Harald Schütz sowie Josef Berkemeier und ein 14-köpfiges Team jährlich bis zu 1.000 Gästen das komplett erhaltene und bestens gepflegte Innenleben der einzigen noch vollständig erhaltenen Saerbecker Kornbrennerei. Bei der abschließenden Verkostung verrät Harald Schütz dann auch, welche drei Faktoren den Geschmack eines Korns bestimmen: Die Art des verwendeten Getreides, Art und Dauer der Lagerung (z.B. Lagerkorn) sowie die Qualität des verwendeten Wassers. „Manche Menschen könnten am Geschmack des Korns erkennen, aus welchen Brunnen oder Böden das verwendete Wasser stammt“, sagt er.

  • Kornbrennerei-Museum, Grevener Str. 8, 48369 Saerbeck ➤ Homepage