Eine Truhe für die christliche Ehe

Rund 500 Jahre alt ist das „Objekt des Monats“ aus dem Dortmunder Museum für Kunst- und Kulturgeschichte (MKK). Auch in dieser Truhe konnten Kleider aufbewahrt werden, sie lieferte aber darüber hinaus Verhaltensmaßregeln für eine christliche Ehe. Diese richteten sich vorzugsweise an den weiblichen Partner.

An diesem Kasten hat ein Tischler sein kunsthandwerkliches Geschick bewiesen und architektonische Formen der italienischen Renaissance, die im 16. Jahrhundert nördlich der Alpen als repräsentativ galt, auf ein Aufbewahrungsmöbel übertragen. Die Seiten und der Deckel sind mit schlichten, profilierten Leisten eingefasst, während die Vorderseite mit Schnitzereien und Einlegearbeiten, sogenannten Intarsien, verziert ist. Die Front wird durch einen Sockel unten und einen gesimsartig vorspringenden Deckel oben gegliedert, während drei senkrechte, geschnitzte Pilaster – eigentlich in das Mauerwerk eingelassene Pfeiler -, die mit Intarsien belegt sind, die Vorderseite in zwei Felder teilen.

Dort befinden sich halbrunde Öffnungen in einem geschnitzten Scheinmauerwerk, das an die Fassaden italienischer „Palazzi“ erinnert. In den Öffnungen befinden sich weitere architektonische Dekorelemente, sogenannte Tondi, runde Bildträger, die dreidimensional geschnitzte Köpfe tragen. Das umlaufende dekorative Rollwerk, geschwungene architektonische Bänder, entstammt dagegen der norddeutschen Renaissancearchitektur des 16. Jahrhunderts. Im linken Feld ist eine männliche Figur zu sehen, im rechten deuten das runde Gesicht und die hochgesteckte Frisur auf eine weibliche Figur hin. Die Inschrift „CLARA GRVBE“ auf den Bändern darunter könnte auf den Namen der früheren Besitzerin hinweisen. Es handelt sich vermutlich um eine Brauttruhe, die wohlhabenden Frauen bei der Heirat von ihren Familien geschenkt wurde.

Lucretia und christliche Ehefrauen

Dieser Brauch ist auf die Tradition italienischer Hochzeitstruhen, sogenannter „Cassoni“, zurückzuführen, die seit dem 15. Jahrhundert im Patriziat verbreitet waren. Die Truhen wurden mit biblischen oder mythologischen Darstellungen geschmückt, um der Braut beziehungsweise dem Brautpaar tugendhafte Szenen des ehelichen Zusammenlebens vor Augen zu stellen. Ein Motiv aus dieser Tradition ist auch auf dem Kasten im MKK zu sehen: Das eiserne Schlüsselschild zeigt in der oberen Hälfte eine weiblich gelesene, nackte Figur. In der erhobenen Hand hält sie einen gravierten Dolch, den sie auf ihre Brust richtet.

Es handelt sich um die Römerin Lucretia, die als Vorbild weiblicher Tugend galt: Der römische Schreiber Titus Livius (59 v. Chr-17 n. Chr.) berichtet in „Ab urbe condita“ von Lucretia, die häusliche Pflichten den weltlichen Vergnügungen vorzog. Tarquinius, der ein Auge auf die Römerin geworfen hatte, verging sich jedoch gegen ihren Willen an ihr. Von ihrem Ehemann von jeder Schuld freigesprochen, nahm sich Lucretia dennoch durch einen Dolchstoß das Leben, um nicht als unehrenhafte Frau zu gelten, wie Livius erzählt. Auf italienischen Hochzeitstruhen wird die Römerin als Vorbild ehelicher Treue dargestellt, und diese Funktion hat sie sicher auch auf der Dortmunder Kiste. Diese noch bis ins 19. Jahrhundert reichende Darstellungstradition entspricht den Ehevorstellungen einer patriarchalischen Gesellschaft, die vorrangig das Verhalten der Frau in moralische Kategorien einteilt.

Auf der Innenseite des Deckels montierte Zettel von 1764 veranschaulichen zudem Tugenden der christlichen Ehe: Ein Marienbild und der katholische Ausruf „[Sancta Maria,] auxilium christianorum“ (Heilige Maria, Hilfe der Christen) bezeugen die Verehrung der Gottesmutter, die auch Inbegriff der Mutterschaft ist. Ein Bibeltext verweist auf die Hochzeit zu Kanaa, ein gängiges Motiv auf Ehegeschenken, das zugleich ein Bekenntnis zu Jesus Christus ist, ebenso wie das Bibelzitat, das vom zwölfjährigen Christus im Tempel und der Sorge seiner Eltern berichtet (Lukas 2, 41-51). Die Bilder und Zitate zu Familie und Mutterschaft mögen der späteren Besitzerin zur Andacht und als Erinnerung an ihre ehelichen Aufgaben gedient haben. So wird 200 Jahre später die Lucretia-Darstellung auf der Kiste um christliche Vorstellungen vom Leben der (Ehe-)Frau erweitert.

Ein Möbel des westfälischen Bürgertums

Im 16. Jahrhundert, waren Truhen das Hauptmöbel zur Aufbewahrung von Kleidung oder kleineren Habseligkeiten. Die Kisten waren bemalt, geschnitzt oder mit Intarsien verziert. Gemeinsam war ihnen, dass sie in ihrer Gestaltung an italienische Palazzi erinnerten. Deren Baustil galt im 15. Jahrhundert nördlich der Alpen als modern, man versuchte durch die Übernahme dekorativer Formen den Lebensstil italienischer Patrizierfamilien nachzuahmen. Die im Stil italienischer Palastarchitektur gestaltete Truhe im MKK ist als Brauttruhe ein Beispiel für ein repräsentatives Möbel des westfälischen Bürgertums, das dem Lebensstil des Patriziats nacheiferte und aus dieser Tradition heraus der Frau Verhaltensregeln mitgab, um ihr ihren Platz in Familie und Gesellschaft zuzuweisen.