Erziehung zur Gefolgschaft

Braune Relikte (13): Fotografie „Zusammentreffen mit dem Führer im braunen Haus in München“.

Die nationalsozialistische Erziehung war keine Menschenbildung, die zur freien Entwicklung des Individuums Lernanreize bot. Vielmehr war es eine Zurichtung von menschlichem „Material“ zur politischen Durchsetzung weltanschaulicher Ziele – eine hohe Opferbereitschaft inbegriffen. Statt Herzensbildung wurden Menschen instrumentalisiert. Dies zu begreifen, bedeutete nach 1945 für viele vom Nationalsozialismus verführte Jugendliche eine schmerzhafte aber heilsame Erkenntnis

Ähnlich anderen faschistischen Staaten der Zeit, wie Italien unter dem „Duce“ Benito Mussolini (1883/1922–1945) oder Spanien unter „Caudillo“ General Franco (1892/1936–1975), kennzeichnete den nationalsozialistischen deutschen Staat die Ausrichtung auf Hitler als „Führer“ und die geforderte unbedingte Gefolgschaft. Der Slogan „Führer befiehl! Wir folgen dir!“ war in aller Munde. Das Führerprinzip bedingte einerseits, dass jede/r an jeder Stelle seinem/ihrem „Führer“ gehorchte; ob beim Militär dem Vorgesetzten, bei der Arbeit die Belegschaft dem „Betriebsführer“, oder beim BdM das „Mädel“ seiner BdM-Führerin usw. Die hierarchische Struktur der NS-Organisationen war nicht ohne Reiz, verlieh sie doch auch schon dem ‚kleinen‘ Blockwart Autorität und Macht über andere. Dies konnte wiederum der Überwachungsstaat nutzen, um z.B. Systemgegner*innen durch Denunziation aufzuspüren.

Andererseits wurde die gesamte Gesellschaft auf die überhöhte vermeintliche Lichtgestalt Hitler eingeschworen. Dazu diente ein Großteil der Propaganda, insbesondere jede durchinszenierte Massenveranstaltung wie die Reichsparteitage in Nürnberg oder das Reichserntedankfest in Bückeburg. Durch organisierte Fahrten mit Bahn und Bussen aus dem gesamten Reich wurde dort die Gemeinschaft von „Führer“ und „Gefolgschaft“ emotional in Szene gesetzt, um dem – einer individuellen Identität beraubten, da rein funktionalisierten – Menschen das rauschende entrationalisierte Gefühl zu geben, Teil einer großen Masse zu sein, die „Bedeutung“ suggerierte.

Wichtigste Zielgruppe war die Jugend. Sie wurde besonders auf das Prinzip von „Führertum und Gefolgschaft“ eingeschworen, weil sie den geplanten Weltanschauungskrieg tragen sollte. Die Ideologisierung fand über die Schule als zentraler Bildungseinrichtung hinaus in allen gesellschaftlichen Bereichen statt. Die strukturelle Erfassung der Jugendlichen erleichterte die gewünschte Erziehung unter Fortführung der geschlechtsspezifischen Rollenmuster von wehrhaftem Mann und feinfühlender Frau und Mutter. Schon im Jungvolk wurde der Zehnjährige „Pimpf“ zu Folgsamkeit, Disziplin und Gehorsam sowie zu körperlicher Fitness, Härte und Leistungsbereitschaft erzogen und dadurch ‚spielerisch‘ an den Militärdienst herangeführt.

Das Zusammenführen des „Führers“ mit ,seiner‘ Jugend war Programm. Am 14. September 1935 sprach Hitler während des Reichsparteitages in Nürnberg vor 54.000 Hitlerjungen: „In unseren Augen muss der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl. Wir müssen einen neuen Menschen erziehen, auf dass unser Volk nicht an den Degenerationserscheinungen der Zeit zugrunde geht.“ Bereits Anfang Juni 1933 traf die Osnabrücker HJ-Blaskapelle bei einem Besuch im Münchner „Braunen Haus“ mit Hitler zusammen. Dabei entstand ein gemeinsames Propagandafoto von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann (1885–1957). 1933 war die Schülerkapelle des Reformrealgymnasiums als „Bannmusikzug I/78“ in die Hitlerjugend eingegliedert worden.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.