Exquisit verstimmt

Musikalische Entdeckungen, Klang- und Raumexperimente waren auch der Musik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts nicht fremd. Das Ensemble Urban Strings stellt Ostinato- und Variationswerke von Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Pachelbel und Johann Sebastian Bach vor.

In diesem erlesenen Komponistentrio, dessen Lebensspanne von Bibers Geburt im August 1644 bis zu Bachs Tod im Juli 1750, mehr als ein Jahrhundert umfasst, war der Kapellmeister des Salzburger Erzbischofs sicher der experimentierfreudigste. Biber nutzte die Skordatur gefühlt häufiger als die Grundstimmung der Violine, um ungewöhnliche Klangeffekte zu erzielen oder besonders virtuose Grifftechniken zu erproben. Die Programmauswahl wirft außerdem Schlaglichter auf die barocke Begeisterung für ostinate Bass-Begleitungen und das Musizieren „Vis à vis“, um eine intimere Kommunikation der Interpreten oder originelle akustische Effekte zu ermöglichen.

Raumverteilung der Musiker in der Lutherse Kerk in Groningen

Die gradiose „Schutzengel“-Passacaglia und die Sonate IV „Die Darstellung im Tempel“, beide aus Bibers Rosenkranz- oder Mysterien-Sonaten, werden hier in einer Fassung für Violine und Viola präsentiert und gehören zweifellos zu den Höhepunkten des Albums. Überaus klangschön, facettenreich und voller Überraschungen spielen Georg Kallweit, Tabea Höfer, Walter Rumer und der Organist Leo van Doeselaar aber auch den sechsten Teil aus Bibers „Harmonia Artificioso“, Bachs Sonate BWV 1038 und Pachelbels zweite Partie aus der Sammlung „Musicalische Ergötzung“, in der die beiden unteren Violinsaiten gleich um eine Quarte höher und damit besonders hell und durchdringend klingen.

Abgerundet wird die Einspielung durch zwei Orgelwerke, Bachs Präludium und Fuge BWV 550 und Pachelbels wundervolle Partita „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ aus den „Musicalischen Sterbens-Gedancken“. Eine überaus komplexes, intellektuell und musikhistorisch anspruchsvolles Projekt, das dennoch nie im Akademischen erstarrt. Im Gegenteil: Lebendiger kann die historische Aufführungspraxis kaum klingen!

Vis à vis. Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Sebastian Bach, Johann Pachelbel, CD, Raumklang