Faszination Spatz – Wie lange noch?

Ein Leben ohne den Menschen ist für den federleichten Sperling bisher keine Option. Die Anfänge der Mensch-Spatz-Beziehung reichen in biblische Zeiten zurück und lassen sich sogar im Genom der Spatzen nachweisen: Als der Mensch begann, Getreide anzubauen, entwickelte sich der Spatz zum Getreidefresser und war seither aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Inzwischen droht ihm diese Beziehung jedoch zum Verhängnis zu werden. Ein triftiger Anlass für die Naturexperten Eva Goris und Claus-Peter Hutter, Kulturgeschichte und Leben der Spatzen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Denn leider ist der zweithäufigste Vogel in Deutschland – einst so präsent, dass er in zahlreiche „geflügelte Worte“ Eingang gefunden hat – stark bedroht. Um bis zu 80 Prozent sind die Bestände in den letzten Jahren zurückgegangen. Die Veränderungen ihres Lebensraums sind den Spatzen auf den Magen geschlagen. Der besorgniserregende Rückgang der Insektenbestände lässt einen Großteil des Nachwuchses bereits im Nest verhungern.

Die Menschen sind von dem etwa 30 Gramm schweren Vogel fasziniert, oft aber auch genervt. Wer erinnert sich nicht an diese lärmenden Quälgeister, die sich beim letzten Cafebesuch ungeniert um die Essensreste auf Tellern und Schüsseln stritten. „Er benimmt sich wie viele Großstädter: frech, laut und unverschämt“. Dieses Verhalten habe das Image des Alltagsvogels geprägt, heißt es im Buch von Goris und Hutter „Federleicht. Das erstaunliche Leben der Spatzen.“

Sein Renommee könnte auch in anderer Hinsicht besser sein. Missverstandene Reinigungsrituale der Spatzen, das Bad im Staub, begründeten die Bezeichnung „Dreckspatz“. Aber auch die ungebremste Libido, die zu mehreren Bruten im Jahr führen kann, wurde vom Menschen vielfach mit Argwohn beäugt. König Friedrich II. von Preußen sah im Spatzen einen unliebsamen Konkurrenten bei der Kirschernte und befahl deshalb, alle Spatzen „wegzufangen, totzuschießen oder auf jegliche Weise zu vertilgen“. Für jeden getöteten Spatzen zahlte er seinen Untertanen ein Kopfgeld von sechs Pfennigen.

Die Autor*innen beschreiben in ihrem vom Tier- und Landschaftsmaler Bernd Pöppelmann liebevoll illustrierten Buch die Geschichte einer wirklich unglaublichen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Sie thematisieren unser Verhältnis im Umgang mit Tieren, liefern spannende, wissenschaftlich fundierte Einblicke in das Leben der Spatzen, weisen auf die aktuelle Gefährdung des Spatzen hin und bieten konkrete Hinweise, wie wir das (Über)Leben der Spatzen sichern können.

Und so ganz nebenbei werden viele Leser*innen bei der Lektüre dieses Buches dem Faszinosum dieses kleinen Allerweltvogels erliegen. Eine wirklich gelungene Hommage an einen echten Überlebenskünstler, der nie weit weg und auf der ganzen Welt zu Hause ist.

Eva Goris, Claus-Peter Hutter. Federleicht. Das erstaunliche Leben der Spatzen. Wilhelm Heyne Verlag, München 2022, 15 €