Flaschenpost vom Klassenfeind

Geheime Zeichen in einer Telefonzelle signalisierten Eingeweihten: Die Post ist da! Gut versteckt in einer Flasche, eingegraben 20 Zentimeter vom Stamm einer Pappel an der Straße von Broistedt nach Lebenstedt bei Salzgitter, wartete die geheime Nachricht auf den Empfänger.

Tote Briefkästen (TBK) waren ein übliches Kommunikationswerkzeug des ehemaligen DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Sie galten laut ➤ MfS-Lexikon des Stasi-Unterlagen Archivs als nachrichtendienstliches Mittel, um „eine unpersönliche Verbindung zwischen IM und Kurier bzw. Führungsoffizier“ zu ermöglichen. Als Tote Briefkästen eigneten sich konspirativ angelegte, unscheinbare oder gut getarnte Verstecke. Mit ihrer Hilfe wechselten kurze Mitteilungen, Materialien und Geräte oder auch Geld den Besitzer – innerhalb der DDR, aber vor allem auch außerhalb der Grenzen des selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaats.

Brücken und Bäume,  Häuser, Mauern und Denkmäler wurden als TBK genutzt, grundsätzlich waren der Phantasie aber keine Grenzen gesetzt, sodass auch Friedhöfe als Übergabeorte in Betracht kamen. In einer 2014 erschienenen Publikation (➤ „Niedersachsen und die Stasi“) wird die Vorbereitung eines neuen TBK auf dem Stöckener Friedhof in Hannover geschildert. Mit Fotos und einer „Skizze von der Seitenansicht der Steinplatte/Grab“ dokumentiert der Verfasser die Einsatzmöglichkeiten einer Grabstelle als TBK.

Zurück zur Flasche an der Pappel: Am 30. Januar 1956 erstattete der Schlosser Hans O. bei der Polizei Salzgitter eine Selbstanzeige. Er sei vom MfS gedrängt worden, Informationen über „Stimmungen, Personen, Organisationen und Produktionsmethoden“ – u.a. über das Chemiewerk Langelsheim-Embsen und die Salzgitter AG – zu sammeln.  Zu diesem Zweck habe er neben dem Toten Briefkasten an der Straße von Broistedt nach Lebenstedt noch weitere Verstecke angelegt. Durch verschlüsselte Zeichen in einer nahe gelegenen Telefonzelle wurde mitgeteilt, ob neue Botschaften im Versteck lagen.

Toter Briefkasten an der Straße von Broistedt nach Lebenstedt bei Salzgitter

Hans O. wurde 1957 wegen hochverräterischer Beziehungen zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Der im Rahmen seines Gerichtsverfahrens dokumentierte TBK ist nur ein Beleg für die Aktivitäten der Stasi insbesondere in Niedersachsen. So liegen aus den Jahren 1953-1989 über 500 Ermittlungsakten zu Agenten der DDR im Niedersächsischen Landesarchiv.

Welche Rolle die bundesdeutsche Spionageabwehr im Fall des Technikers Hans O. und vielen anderen Fällen spielte, bleibt auf unbestimmte Zeit im Dunkeln. Mit der 2017 beschlossenen Novellierung des Bundesarchivgesetzes wurde die Entscheidung über die Offenlegung von Geheimdienstunterlagen ins Belieben der Geheimdienste selbst gestellt. In den geheimen Archiven könnte also noch die eine oder andere Überraschung versteckt sein.