Nächster Besuch im Archiv Historische Bildpostkarten. Die Sammlung, die von Sabine Giesbrecht, emeretierte Professorin für Historische Musikwissenschaft, gestiftet wurde, ist in den letzten Jahren auf rund 22.000 Karten angewachsen. Auf „Kulturabdruck“ stellt Giesbrecht eine Auswahl vor – zunächst unter dem Aspekt „Musik und Liebe“.
Junge Frauen aus gutem Hause haben in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches nur wenige Möglichkeiten, einen Partner zu finden. Und umgekehrt sucht ein junger Mann schon mal die Gelegenheit, ein Mädchen, das ihm gefällt, außerhalb der Familie und ohne die scharfen und prüfenden Blicke der anwesenden Mütter und Tanten kennen zu lernen.
Auf dieser Postkarte aus dem Jahr 1904 geht eine junge Frau „zur Musikstunde“. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, mit ihr ins Gespräch zu kommen und vielleicht ihre Sympathie zu erringen, erfordert aber offensichtlich auch „Schneid“.
Der elegant gekleidete Mann traut sich, nimmt den Zylinder ab und bietet ihr höflich seine Begleitung an. Sie hält sich mit ihrer Zustimmung jedoch vorerst zurück. Man kann ja nie wissen, welche Absichten er hat. Schließlich ist sie gut erzogen, kann vermutlich ein wenig Klavier spielen und Französisch sprechen, hat gelernt, sich zu benehmen und weiß, dass sich ein anständiges Mädchen auf der Straße nicht einfach von jedem ansprechen lassen darf.
Das tut „man“ nicht. Die Eltern würden das gewiss nicht gerne sehen. Aber spannend wäre es doch!
Der Vierzeiler unter dem Bild lautet:
Fräulein Lottchen wandert nett
Zur Musikstunde adrett.
Ein schneidiger Herr kommt schnell heran
Und bietet ihr Begleitung an.