Altmeister Neeme Järvi hat mit dem Estonian National Symphony Orchestra bereits französische Ballett- und Schauspielmusik aufgenommen. Nun gilt sein Interesse der lange in Verruf geratenen Potpourri-Ouvertüre.
Tatsächlich handelt es sich bei den Eröffnungen von Daniel-François-Esprit Aubers Opern „Le Domino noir“ (1837), „La muette de Portici“ (1828) und „Les diamants de la couronne“ (1841) oder den Operetten-Ouvertüren zu Jean Robert Planquettes „Les cloches de Corneville“ (1877) und Charles Lecocqs „La Fille de Madame Angot“ nicht um leichtgängige Appetitanreger, die lediglich Schnipsel aus dem anschließenden Bühnenstück aneinanderreihen. Thematische Dopplungen halten sich in Grenzen, stattdessen entwickeln die kleinen Kunststücke oft einen ganz eigenen Stil und eine besondere, fluide Atmosphäre.
Auf dem 2022 in Tallinn aufgenommenen Tonträger kommen diese Qualitäten aber schon deshalb nur begrenzt zur Geltung, weil die titelgebenden französischen Ouvertüren nicht einmal die Hälfte der eingespielten Werke ausmachen. Rund 40 von 68 Minuten beansprucht Gordon Jacobs vergleichsweise dickflüssige Ballettfassung der oben genannten Lecocq-Operette, die der Engländer 1947 unter dem Titel „Mam´zelle Angot“ für Léonide Massine schrieb – wobei er die wunderbar ironische und herrlich leichtfüßige Ouvertüre übrigens nahezu halbierte.
Einen Grund für dieses seltsame Missverhältnis zwischen CD-Titel und -Inhalt sucht man im Booklet, in dem Roger Nichols die verschiedenen Ouvertüren-Formen kenntnisreich erläutert, vergebens. Aber auch musikalisch wird die Einspielung den Erwartungen nicht immer gerecht. Neeme Järvi und das Estonian National Symphony musizieren schwungvoll und solide, übermalen Aubers, Planquettes und Lecocqs zarte Klangfarben und raffinierte Rhythmen jedoch nicht selten mit einem breiten romantischen Pinselstrich.
French Opera Overtures. Werke von Daniel-François-Esprit Auber, Robert Planquette und Charles Lecocq, Chandos