Gefühle und Gemüse

„Ciboulette“ (1923) stand am Ende der französischen Operettengeschichte. Und doch auch wieder am Beginn, denn Reynaldo Hahn und seine kongenialen Textdichter Robert de Flers und Francis de Croisset schlugen den Bogen ins Goldene Zeitalter des Genres.

1867 spielt die Geschichte der Gemüsehändlerin Ciboulette (zu dt. „Schnittlauch“), die sich von Onkel, Tante und sage und schreibe acht Verlobten befreit, um in Paris eine Karriere als Sängerin zu starten und am Ende einem schusseligen Müßiggänger in die Arme zu fallen. Antonin heißt der freundlich-verschlafene Dandy, der es sich als blinder Passagier in Ciboulettes Kohltransport gemütlich gemacht hat.

Mit von der Partie sind die singende Teilzeitmätresse Zénobie, der Aufseher der Pariser Markthallen Duparquet, der sich als gealterter, liebesmüder Rodolphe aus Henry Murgers Roman „La vie de Bohème“ entpuppt, die wahrsagende Fischhändlerin Madame Pingret, der nette, aber recht eindimensionale Husarenoffizier Roger und wer sonst noch in und um Paris zu tun hat.

Vor diesem Hintergrund entsteht ein Bilderbogen, der alle Vorzüge der Pariser Operette noch einmal lebendig werden lässt: den doppelbödigen Witz und die unbändige Lebensfreude, die Begeisterung für Freiheit und Selbstbestimmung und natürlich die Angriffslust gegen Standesdünkel, Doppelmoral und die Zeigefinger der bürgerlichen Mitte.

Reynaldo Hahn war kein gelernter Operettenkomponist und fast 50 Jahre alt, als sein erster Versuch im Théâtre des Variétés uraufgeführt und auf Anhieb ein durchschlagender Erfolg wurde. Nach den Gründen muss man nicht lange forschen. Die Musik ist immer auf der Höhe des Geschehens, perlt leicht und beschwingt, mitunter aber auch melancholisch-verhalten durch Couplets, Ensemble- und Chorszenen und das rauschende Finale, das „Ciboulette“ im Walzertakt beschließt.

Den Tönen auf der Spur bleibt die immer phantasievolle Neuinszenierung von Michel Fau, die 2013 an der Pariser Opéra Comique vor dunkelnden Fotowänden ein knallbuntes Treiben entfesselte. Die Spielfreude des Ensembles um Julie Fuchs (Ciboulette), Jean-François Lapointe (Duparquet) ist – bis heute und auch aus der Bildschirmbetrachtung – absolut ansteckend. Das Orchestre symphonique de Toulon unter der Leitung von Laurence Equilbey kann im turbulenten Geschehen wenig eigene Akzente setzen, sorgt aber für eine rundum solide Begleitung.

Der Mitschnitt, der vor Jahren bereits bei fraMusica veröffentlicht wurde, liegt nun in einer neuen Aufbereitung bei Naxos vor. Das ist überaus erfreulich, erinnert aber auch daran, dass sich die Uraufführung dieses außergewöhnlichen Werkes bald zum 100. Male jährt. Sicher kein schlechter Anlass, um „Ciboulette“ einmal wieder auf den einen oder anderen Theaterspielplan zu setzen …

Reynaldo Hahn: Ciboulette, DVD/Blue-Ray, Naxos