Geige in weiter Landschaft

Jean Sibelius schuf eines der populärsten Violinkonzerte aller Zeiten. Doch der gelernte Geiger hinterließ für sein Instrument noch viele weitere Schätze, wie Thomas Albertus Irnberger auf seinem neuen Album zeigt.

Vor den Trabanten kommt freilich das Zentralgestirn, das mit schlankem Ton über einem zartgewebten Streicherteppich aufgeht. Thomas Albertus Irnberger und das von Doron Salomon geleitete Royal Philharmonic Orchestra haben keine Angst vor großen Gesten und hindern den Hörer folgerichtig nicht daran, von endlos weiten nordischen Landschaften zu träumen. Sie besitzen gleichwohl eine klare Vorstellung davon, wie sie von den zögerlichen Anfangstakten über die grüblerischen Kadenzen des ersten und die großen lyrischen Bögen des zweiten Satzes zu jenem überschäumenden, bedrohlich-begeisternden Finale kommen, das Sibelius als „danse macabre“ charakterisierte, obwohl es doch auch wie eine Feier des sich ewig bewegenden und stets erneuernden Lebens klingt.

Melancholie und Frohsinn liegen in den „Fünf Stücken für Violine und Klavier op.81“ ebenfalls nebeneinander – wenn auch auf eine eher spielerische und betont unterhaltsame Weise. Die traurige Mazurka, das heitere Rondino, den nostalgischen Walzer, das verspielte Morgenlied und das gediegene Menuett vereinen Thomas Albertus Irnberger und sein kongenialer Klavierpartner Michael Korstick zu einem funkelnden kammermusikalischen Quintett. Höchsten Ansprüchen genügt auch die Interpretation der „Vier Stücke für Violine und Klavier op.115“ – von dem stimmungsvollen Landschaftsbild „Auf der Heide“ über die eigenwilligen Mittelsätze „Ballade“ und „Humoreske“ bis zu den mysteriösen „Glocken“.

Mit dem „Danse Champêtre op.106 Nr.1“ und dem „Nocturne op.51 Nr.3“ stellen Irnberger und Korstick außerdem zwei einzelne Stücke aus größeren Werkzusammenhängen vor – und dann gibt es natürlich noch einen wunderbar dahinschmelzenden „Valse triste“. Dabei handelt es sich allerdings nicht um den berühmten von Jean Sibelius mit der Opuszahl 44. Dieser traurige Walzer stammt aus der Feder des ungarischen Wundergeigers Franz von Vecsey (1893-1935), dem Sibelius sein Violinkonzert, das er zunächst für Willy Burmester komponiert hatte, schließlich widmete.

Jean Sibelius: Violinkonzert op.47, mit weiteren Werken von Jean Sibelius und Ferenc Vecsey, Gramola, Super Audio CD