Das „Frauenporträt“ von Franz von Stuck fällt besonders durch das ungewöhnlich, achteckige Format in kunstvoll gestaltetem Goldrahmen auf. Wenige, klare Linien zeichnen das elegante Gesicht einer Dame im Seitenprofil. Das Porträt in Pastellkreide zeigt eine junge, erwachsene Frau in lockerem Gewand und schlichter Kette, das dichte, dunkle Haar locker hochgesteckt. Wer bei einem Besuch des Dortmunder Museums für Kunst und Kulturgeschichte besonders aufmerksam die Beschriftung neben dem Bildnis liest, dem könnte der Zusatz „LG 121 Bundesrepublik Deutschland“ aufgefallen sein. Was hat es damit auf sich?
Neben Werken aus der eigenen Sammlung präsentiert das Museum in seinen Räumen auch ausgewählte Leihnahmen. Das Inventarkürzel „LG“ verweist auf solche geliehenen Ausstellungsobjekte. Sie können aus verschiedenem Privatbesitz stammen oder werden von anderen Institutionen zur Verfügung gestellt. Eine Sonderstellung nehmen die Leihgaben des Kunstbestandes der Bundesrepublik Deutschland ein, der u. a. Kunstwerke aus ehemaligem Reichsbesitz umfasst. Bei Bestandsaufnahme nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde deutlich, dass dieses frühere Staatseigentum des Dritten Reichs zu großen Teilen von unklarer Herkunft war. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Kunstwerke Menschen gehört haben, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und es sich um sogenannte NS-Raubkunst handelt. Trotz der frühen Bemühungen der Alliierten um Rückgabe an rechtmäßige Eigentümerinnen und Eigentümer, verblieben etwa 20.000 Kulturgüter im Besitz des Bundes. Um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, konnten sich deutsche Museen um Leihgaben aus diesem Bestand bewerben. So gelangte das vorliegende Bildnis 1981 in das Dortmunder Museum, wo es seither die Jugendstil-Sammlung des MKK bereichert.
Nur wenig ist über die Geschichte des Porträts bekannt. Es wurde am 13.05.1942 im Berliner Auktionshaus Hans W. Lange zum Verkauf angeboten und von der Reichskanzlei für das geplante „Führermuseum“ in Linz erworben. Der Auktionskatalog gibt die Person, die das Bild hat versteigern lassen, abgekürzt mit „de B., Berlin“ an. Sie konnte bislang nicht identifiziert werden. Somit bleibt das Schicksal des Porträts während der nationalsozialistischen Herrschaft weiterhin unklar.
Erschwert wird die Recherche zudem durch den Umstand, dass vermutlich mindestens zwei weitere Fassungen der Porträtzeichnung existieren. 1996 bot die Berliner Kunsthändlerin Dr. Irene Lehr ein in Format (52,8 × 44,6 cm) und Darstellung sehr ähnliches Exemplar an, ebenfalls in oktogonalem Künstlerrahmen. Über die Münchener Kunsthandlung Ketterer gelangte es in die Schweiz. 2014 tauchte im Kölner Auktionshaus Van Ham eine ovale, also dritte, Fassung des Porträts auf, das sich vor allem in der Stofflichkeit der Bluse von der Dortmunder Version unterscheidet. Dort ist zudem unter der Halskette im Dekolletébereich eine weiß schraffierte Fläche angelegt, die in der Van Ham-Variante fehlt.
Erst kürzlich erreichte das Museum ein Hinweis zur Identität der bislang unbekannten Dargestellten – es soll sich um Paula Schoeller (1887-1982), geborene de Crignis handeln. Paula lernte ihren späteren Ehemann, den Chemiker Walter Julius Viktor Schoeller (1880-1965), während des Ersten Weltkrieges kennen, das Paar heiratete 1918 in München. Also in der Stadt, in der der bedeutende deutsche Jugendstilkünstler Franz von Stuck lebte und arbeitete, der das Porträt zeichnete. Betrachtet man das Gesamtwerk Stucks, so fällt darin die große Anzahl Porträts auf. Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten seines Schaffens finanzierte der zu Lebzeiten schon sehr bekannte Maler sich über Auftragsarbeiten einen ausschweifenden Lebensstil. Sehr wahrscheinlich ist das vorliegende „Frauenporträt“ im Rahmen einer solchen Kommission entstanden. Es wurde bislang auf um 1910 datiert, sollte es jedoch tatsächlich Paula Schoeller darstellen, so wäre auch denkbar, dass es erst anlässlich der Hochzeit um 1918 gefertigt worden ist. Bereits Ketterer hatte die 1997 dort befindliche Fassung auf um 1910/1920 datiert.
Ein Foto Paula Schoellers, das sie in einem höheren Alter zeigt, liegt vor und eine Ähnlichkeit zur Porträtierten ist durchaus ersichtlich. Jedoch sind im Gesicht der Dame, wie für Stucks Auftragsporträts typisch, kaum charakterisierende, individuelle Züge zu finden. Stuck reduziert die Linien vielmehr auf das Wesentliche und erreicht dadurch eine hohe malerische Eleganz. Dadurch wirkt das Bildnis eher dekorativ, denn psychologisch. Für eine zweifelsfreie Identifikation sind weitere Quellen notwendig. Die Recherchen zu dem Porträt, der Dargestellten und den weiteren Fassungen dauern an.
Die Autorin dankt Yvonne Weigert, der Enkelin Paula Schoellers, für den Hinweis auf die mögliche Identität der Dargestellten.