Dass die meisten Frauenbilder des deutschen Kaiserreichs nicht mehr die unseren sind, beweist spätestens der dritte Teil unserer aktuellen Serie aus dem Archiv Historische Bildpostkarten. Dessen Stifterin Sabine Giesbrecht erläutert die vermeintliche „Humorkarte“, die im November 1902 versendet wurde.
Zugegeben, diese Abbildung ist geschmacklos und verletzt die Würde der Frauen. Im Jahr 1902, in dem sie als Postkarte verschickt wurde, sieht man das aber offenbar anders. Hier gestattet man dem Betrachter einen genießerischen Blick auf eine bayerische Schöne, die sich im Dirndlkleid auf einem Teller räkelt und sich ihm sozusagen zum Essen anbietet.
Das gut gewachsene Mädchen sieht dem Verspeisen lächelnd und scheinbar unbefangen entgegen, hat die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Beine so gelagert, dass die Waden unter dem mit Spitzen besetzten Unterrock ein wenig zum Vorschein kommen. Messer und Gabel liegen schon für den „fetten Bissen“ bereit, und für alkoholische Getränke ist ebenfalls gesorgt. Dem Interessenten winkt darüber hinaus noch ein Sack mit Geld, den er erhält, wenn er sich der Dame annimmt.
Um 1902 rangierte eine solche Karte vermutlich als ‚Humorkarte’. Einen Rest satirischer Sichtweise kann man der Abbildung jedenfalls nicht absprechen. Sie ironisiert den männlichen Blick durch übertriebene Darstellung einer Frau als Objekt animalischen Verzehrs. Zugleich erinnert das Bild an eine gebräuchliche umgangssprachliche Wendung, mit der man auch Kindern seine Zuneigung auszudrücken pflegte: „Ich hab’ dich zum Fressen gern“. Allerdings wirkt die vorliegende Visualisierung – jedenfalls aus heutiger Sicht – eher peinlich und sexistisch.
Das Aufessen als Metapher ungestümer Liebe fand jedoch seinen Weg 1913 auch in die Schlager-Branche. Etwa ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges amüsierte sich halb Deutschland über „Puppchen, du bist mein Augenstern, Puppchen, hab dich zum Fressen gern“ – die Paradennummer aus einer Posse von Alfred Schönfeld und Jean Gilbert – und fand sie rasend komisch.