Gleichschaltung

Braune Relikte (8): Spielzeitprogramm eines Stadttheaters

Die Gleichschaltung sämtlicher staatlicher und gesellschaftlicher Bereiche zur Machtsicherung ist typisch für autoritäre Staaten. Besonders exponiert sind die Medien und der Kultursektor. Ihnen fällt generell die Rolle der kritischen Kommentierung gesellschaftlicher Prozesse zu. Oft geschieht die Anpassung im vorauseilenden Gehorsam. Schon 1933 vollzog das Osnabrücker Theater den programmatischen Wandel von den „Städtischen Bühnen“ zum „Deutschen Nationaltheater Osnabrück“. Kritische und nicht genehme Kulturschaffende wie Erich Maria Remarque, dessen Werk die Nazis mit der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 symbolisch vernichteten, wurden dagegen öffentlich diskreditiert.

Der Kultursektor, traditionell mit einem hohen Anteil jüdischer Intellektueller und Kunstschaffender besetzt, war für die nationalsozialistische Bewegung ein wichtiges Feld zur Durchsetzung ihrer Ideologie. Hitler forderte: „Die Kunst muss auch wirklich Verkünderin des Erhabenen und Schönen und damit Trägerin des Natürlichen und Gesunden sein.“ In Osnabrück erfolgte die Gleichschaltung des Theaters unmittelbar 1933.

Am 4. April wurde der seit 1931 erfolgreich agierende Theaterintendant Fritz Berend aufgrund seiner jüdischen Abstammung abgesetzt. Auf Berend, der nach England emigrierte, folgte Oberspielleiter Walter Storz, der am 1. Mai 1937 in die NSDAP eintrat und gute Kontakte zu Hans Hinkel, dem Geschäftsführer der Reichskulturkammer, besaß. Er sprach „[n]ach der Machtübernahme und der neuen völkischen Ausrichtung des kulturellen Lebens in Deutschland“ von der „notwendige[n] Bereinigung, die die Bühnen schon von sich aus vorgenommen“ hätten. Auf Storz folgte später Curt E. Nuernberger. Der gebürtige Amerikaner wurde 1931 deutscher Staatsbürger und am 1. Mai 1933 NSDAP-Mitglied. Weitere abgesetzte „Nichtarier“ waren der später nach Theresienstadt deportierte Kapellmeister Fritz Seligmann sowie Opernregisseur Gerson Werblowski (1872–1947), der im Arbeitserziehunslager Ohrbeck interniert wurde und den Krieg überlebte.

Wegen der Nähe zu den Niederlanden erhielt das „Grenzlandtheater“ am 1. Oktober 1933 durch die Reichskulturkammer offiziell den Titel „Deutsches Nationaltheater Osnabrück“. In seinem Vorwort „Treue um Treue!“ zum Programmheft formulierte Theaterdezernent Hermann im August 1936: „Das Theater ist im Reiche Adolf Hitlers zu einem nicht mehr wegzudenkenden Faktor der Erziehung, der Bildung, der innerlichen Erhebung und der Freude geworden.“ Aus dem Theaterprogramm wurden mehrere erfolgreiche Operetten entfernt, weil die Komponisten oder Librettisten keine „Arier“ waren. Stattdessen wurden in der Saison 1936/37 neben Klassikern wie Schillers „Don Carlos“, Wagners „Tannhäuser“, Verdis „Aida“, Puccinis „Madame Butterfly“ oder Streckers „Ännchen von Tharau“ bewusst neue NS-konforme Werke präsentiert.

Vom Dramatiker Friedrich Bethge (1891–1963) wurde das Stück „Reims“ in Osnabrück uraufgeführt. Der Weltkriegsfreiwillige war seit 1932 NSDAP-Mitglied und 1933-1945 Chefdramaturg der Frankfurter Städtischen Bühnen. Auf dem Programm stand sein bekanntestes Stück „Marsch der Veteranen“, für das er 1937 den Nationalen Buchpreis erhielt. Nach Storz wird darin die „Idee des ewigen Opferganges […] erschütterndes, verpflichtendes Erlebnis“. Durch die Aufführung begleitete das Theater die ideologische Vorbereitung des nächsten Krieges.

Von dem SS-Mitglied und Himmler-Freund Hanns Johst (1890-1978), seit 1935 Präsident der Reichsschrifttumskammer, waren bereits „Schlageter“ – über den zum NS-Märtyrer verklärten Albert Leo Schlageter (1894–1923) – und „Thomas Paine“ in Osnabrück gebracht worden. Eberhard Wolfgang Möller (1906–1972), von dem „Aufbruch in Kärnten“ gespielt wurde, war seit 1932 SA-Mitglied und Referent in der Reichdramaturgie. Er schrieb 1939 das erste Drehbuch zu „Jud Süß“ (vgl. Nr. 25), war seit 1940 SS-Kriegsberichterstatter und blieb auch nach 1945 überzeugter Nazi.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.