Heldin ohne Gnade

Eine blutrünstige Geschichte des Alten Testaments, alle Solo- und Chorpartien sind mit Frauenstimmen besetzt: Baldassare Galuppis Oratorium „Jahel“ hält manche Überraschungen parat.

Für das moderne Rechtsempfinden dürfte die hymnische Verehrung, die das Alte Testament Jahel* angedeihen lässt, kaum nachvollziehbar sein. Schließlich vertraut Sisara, der Feldherr von Hazor, der sich nach verlorener Schlacht in das Zelt ihres Mannes Heber flüchtet, auf das Gastrecht. Und das aus gutem Grund, wie das „Buch der Richter“ ausdrücklich feststellt: „Denn zwischen Jabin, dem König von Hazor, und der Familie des Keniters Heber herrschte Frieden.“
Jahel bietet Sisara zunächst auch Hilfe an, gibt ihm zu trinken und versteckt ihn unter einem Teppich. Doch als er schläft, holt sie einen Zeltpflock und schlägt ihn mit einem Hammer durch den Kopf des wehrlosen Kriegers.

Die „Heldentat“ der Jahel beschäftigte die künstlerische Phantasie über viele Jahrhunderte und inspirierte Mitte der 1740er Jahre Baldassare Galuppi zu einem abendfüllenden Oratorium. Der passionierte Venezianer, der gerade dabei war, einer der erfolgreichsten Opernkomponisten seiner Zeit zu werden, schrieb „Jahel“ in seiner Funktion als Maestro di coro am „Ospedale dei Mendicanti“ für ein Ensemble ausschließlich weiblicher Stimmen.
Das gut zweistündige Werk ist nicht nur ein weiterer Beweis für das erstaunliche Niveau, auf dem in diesen sozialen Einrichtungen seinerzeit musiziert wurde, es zeugt auch davon, wie Galuppis Charakterisierungskunst stereotype Vorlagen zum Leben erwecken konnte.

Sein Sisara verwandelt sich vom brutalen, mitleidlosen Unterdrücker zum verzweifelten Opfer der eigenen Gewaltspirale, während Jahel und die Seherin Debbora von warnenden Beobachtern zu tödlichen Racheengeln mutieren. Galuppis „Jahel“ lässt schließlich sogar einen Hoffnungsschimmer über dem mörderischen Geschehen aufleuchten. Sisaras Untergebener Nabal, der in der biblischen Vorlage keine Rolle spielt, wird – obwohl auch er schwere Schuld auf sich geladen hat – von Debbora freigelassen.

Engagierte Darbietung

Kurz nach dieser Einspielung verkündete das Ensemble Musica Fiorita die Einstellung seiner Konzerttätigkeit. Damit gehen drei Jahrzehnte leidenschaftlichen Einsatzes im Bereich der Alten Musik zu Ende – mit ihnen aufregende Entdeckungsreisen, zu denen zweifellos auch Galuppis „Jahel“ zählt. Unter der – schon in der einleitenden Sinfonia – zupackenden Leitung von Daniela Dolci gehen die Instrumentalisten und die Mädchenkantorei Basel gewohnt engagiert zu Werke und schaffen einen klangvollen Rahmen für herausfordernde Solopartien, den Jenny Högström (Jahel), Gunhild Lang-Alsvik (Debbora), Dina König (Sisara) Kristīne Jaunalksne (Haber), Julia Kirchner (Nabal) und Christina Metz (Barac) über weite Strecken überzeugend ausfüllen.

Dass die Protagonisten gelegentlich auch an Grenzen stoßen, wenn etwa Koloraturpassagen ein überdurchschnittliches Maß an Präzision, Energie und Überzeugungskraft fordern, tut dem diskografischen Wert insgesamt keinen entscheidenden Abbruch.

Baldassare Galuppi: Jahel, 2 CDs, Pan Classics