Auch Gebäude und Grundstücke können eine höchst eigenwillige Geschichte haben. Mitten im niedersächsischen Osnabrück, dort wo derzeit das neue Justizzentrum entsteht, befand sich jahrhundertelang auch ein Gefängnis. Noch früher diente der Ort ganz anderen Zwecken. Ende des 13. Jahrhunderts stand hier ein Konvent der Augustiner-Eremiten.
An der Südostseite des Osnabrücker Neumarkts liegen die Gebäude von Land- und Amtsgericht und die zugehörigen Büroeinheiten. Hinter Mauern und Zaun versteckt befand sich außerdem ein Untersuchungsgefängnis, dass im Frühjahr 2021 abgerissen wurde. Bevor mit dem Bau des neuen Justizzentrums begonnen wurde, untersuchte ein Team der Osnabrücker Archäologie die Fläche.
Das Gelände, auf dem heute Recht gesprochen wird, war im Spätmittelalter ein geistliches Zentrum der Gelehrsamkeit. Seit 1287 bestand hier ein Konvent der Augustiner-Eremiten, aus dem viele Weihbischöfe für Osnabrück und Münster sowie bekannte Prediger und Lektoren hervorgingen. 1540 löste sich die Gemeinschaft auf, 1542 ging das Grundstück in den Besitz der Stadt über, musste aber 1548 wieder an den Bischof zurückgegeben werden.
Die weiteren Bauprojekte an diesem Ort blieben unvollendet: 1583-85 sollte anstelle des Klosters eine bischöfliche Residenz entstehen, 1628 richtete Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg ein Jesuitenkolleg ein, das jedoch vor seiner Fertigstellung wieder aufgegeben werden musste. Die verfallene Klosterkirche wurde vor 1751 abgebrochen.
Die Lage des Klosters kann anhand von Archivalien rekonstruiert werden. Die Kirche lag in etwa unter dem heutigen Landgericht, Konventsgebäude und Kreuzgang schlossen sich nach Norden an, befanden sich also unter dem heutigen Neumarkt.
Na, dann mal Prost!
Die Ausgrabungen im Bereich des neuen Justizzentrums schlossen Anfang September 2021 mit einem überraschenden Fund am letzten Grabungstag ab. Bei einer Tiefensondage wurde das Fragment einer sog. Siegburger Schnelle geborgen, dessen Bildmotiv vermutlich das „Urteil des Paris“ aus der griechischen Mythologie zeigt. Derartige Trinkgefäße wurden in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts im Rheinland produziert und gehörten zur gehobenen Tischkultur.
Das älteste Fundstück der Grabung gehört in die Zeit nach Aufgabe des Augustinerklosters, das unter dem heutigen Landgericht und dem Neumarkt bis ins 16. Jahrhundert hinein bestand. Baustrukturen aus dieser Phase fanden sich auf der weiter östlich liegenden Grabungsfläche jedoch nicht.
Kloster, Zuchthaus, Landgericht
An der Stelle des Klosters wurde ab 1752 ein Zuchthaus eingerichtet. Das nach einem Plan von Johann Conrad Schlaun erbaute Hauptgebäude stand im Bereich der Klosterkirche, vielleicht nutzte es in Teilen deren Grundmauern. Zur neuen Anlage gehörten weiterhin Umfassungsmauern, Nebengebäude und verschiedenen Gartenareale. Einige der während der Ausgrabungsarbeiten aufgedeckten Grundmauern des 18. und 19. Jahrhunderts können dieser Anlage zugeordnet werden. Die meisten sind jedoch in den Kontext des jüngeren „Gefangenenhauses“ zu setzen.
Während das Landgericht seit den 1870er Jahren die Stelle der früheren Klosterkirche und des nachfolgenden Zuchthauses einnahm, musste das zugehörige Gefangenenhaus auf dem instabilen Boden der ehemaligen Haseniederung und der späteren Gartenanlagen gegründet werden. Dieser Herausforderung begegnete man mit einer aufwendigen und massiven Konstruktion aus Pfeilern und Bögen, die im Grabungsschnitt wieder zum Vorschein kamen.
Östlich des Gefangenenhauses schloss sich der Gefangenenhof an. Südlich lag ein Areal mit kleineren Wirtschaftsgebäuden. Das Fundament der Trennmauer zwischen beiden Bereichen wurde im Grabungsschnitt aufgedeckt. Im südlichen Schnitt konnten darüber hinaus Mauerreste eines der Wirtschaftsgebäude freigelegt werden.
Der nördliche Trakt des Gefangenenhauses wurde in den späten 1960er Jahren abgebrochen; es entstanden der zum Kollegienwall ausgerichtete Erweiterungsbau und das rechtwinklig nach Süden daran anschließende elfstöckige „Hochhaus“ mit Räumen für Amts- und Landgericht. Am südlichen Ende des Gefangenenhauses wurde ein Trakt angebaut. Der „Gefängnishof“ befand sich weiterhin auf der Ostseite des Gebäudes. Nach dem Abbruch des obertägigen Mauerwerks des Gefängnisses wurden im Herbst 2021 dessen massive Fundamente entfernt.