Im Wohnzimmer von Bernhard Pankok

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählte Bernhard Pankok zu den bedeutendsten und vielseitigsten deutschen Künstlern. Im Vorfeld seines 150. Geburtstages sprach „Kulturabdruck“ mit Dr. Barbara Rommé, der Direktorin des Stadtmuseums Münster. Das Haus besitzt eine umfangreiche Sammlung seiner Werke.

Malerei und Architektur beherrschte der am 16. Mai 1872 in Münster geborene Künstler genauso souverän wie Grafik, Skulptur und den Entwurf von Möbeln oder Inneneinrichtungen. Pankok schloss an seine Bildhauer- und Malerlehre ein Studium der Malerei in Düsseldorf und Berlin an. Zunächst arbeitete er in München als Grafiker und Illustrator für verschiedene Zeitschriften, bevor er 1897 mit dem Entwurf seiner ersten Möbel begann. Seine Kunstwerke waren auf den Internationalen Weltausstellungen 1900 in Paris (Erkerzimmer) und 1904 in St. Louis (Wohnzimmer, Musikzimmer) zu sehen und fanden damit weltweite Beachtung. In der Folge entwarf er auch Innenausstattungen für zwei Bodenseedampfer und Passagierkabinen für Zeppeline.

Der wachsende Bekanntheitsgrad blieb nicht folgenlos. 1901 wurde Pankok an die Königliche Kunstgewerbliche Lehr- und Versuchswerkstätte in Stuttgart berufen. Unter seiner Mitarbeit und Leitung avancierte das Institut zu einer der bedeutenden künstlerischen Reformschulen in Deutschland.

Bernhard Pankok: Selbstporträt 1929

Pankok war überdies Mitglied des am 5. Oktober 1907 von jeweils 12 Künstlern und Firmen gegründeten Deutschen Werkbunds, der sich die „Veredelung der gewerblichen Arbeit“ auf die Fahnen geschrieben hatte, um die Wettbewerbsbedingungen einheimischer Qualitätsarbeit auf dem Weltmarkt zu verbessern.

1937 wurde Pankok pensioniert und zog sich ins Privatleben zurück. Er starb am 5. April 1943 in seinem von ihm selbst ausgestatten Ferienhaus in Baierbrunn bei München. Sein für dieses Haus 1907-10 gestaltetes Wohn- und Speisezimmer ist eine der ganz wenigen herausragenden Arbeiten dieser Art, die den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden haben. Im Stadtmuseum seiner Geburtsstadt Münster bildet es das Zentrum des Kabinetts, das dem Künstler und seinem Schaffen gewidmet ist.

Vier Fragen an Dr. Barbara Rommé, Direktorin des Stadtmuseums Münster

Kulturabdruck: Welche Bedeutung hat der Künstler Bernhard Pankok für Münster und damit auch für Ihr Museum?

Barbara Rommé: Bernhard Pankok ist einer der wichtigsten deutschen Künstler aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung als Designer und Leiter einer einflussreichen Ausbildungsstätte des endenden Kaiserreichs und der Weimarer Republik, der Kunstgewerbeschule in Stuttgart, macht ihn zu einem wirkmächtigen deutschen Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insbesondere seine Entwürfe und hochwertigen Umsetzungen von Innenausstattungen finden auch heute noch Resonanz auf dem Kunstmarkt.

1901 wurde Bernhard Pankok an die neugegründete Königliche Kunstgewerbliche Lehr- und Versuchswerkstätte in Stuttgart berufen, die er mit seinen Ideen neu ausrichten und das in Stilnachahmung erstarrte alte Kunstgewerbe durch eine praxisnahe und -fördernde Ausrichtung der Schule überwinden helfen sollte. 1903 übernahm er die Stelle als Vorstand der Lehr- und Versuchswerkstätte und 1913 wurde er mit der Gesamtleitung der beiden nun in dem Neubau Am Weißenhof 1 vereinigten Einrichtungen betraut. Es gelang ihm, das Stuttgarter Institut zu einer der bedeutenden künstlerischen Reformschulen in Deutschland zu machen.

Trotz seines Lebensmittelpunktes in Süddeutschland behielt Bernhard Pankok insbesondere durch seine familiären Bindungen – auch die seiner ersten Frau Toni Coppenrath – Verbindung nach Münster, die er nach der Auflösung der Kunstgewerbeschule in Stuttgart durch die Nationalsozialisten wieder intensivierte. Für das Stadtmuseum Münster ist das Wohn- und Speisezimmer ein besonderer Schatz, der direkt aus dem Nachlass des Künstlers erworben werden konnte. Eine Besonderheit im Stadtmuseum Münster ist, das es nicht einfach nur die Möbel zeigt, sondern diese in einer maßgenauen Rekonstruktion des Raumes, dieses Wohn- und Speisezimmers aus Baierbrunn, präsentiert.

Bernhard Pankok: Wohn- und Speisezimmer aus Baierbrunn, München 1906/1907

Die Möbel des Gemeinschaftsraumes – zwei Sofas, Eckschränke, Anrichte und Regale sind platzsparend an den Wänden entlang platziert und ein großer Esstisch nimmt die Mitte des Raumes ein. Die Möbel sind extra von Bernhard Pankok für diesen Raum entworfen und ausgeführt worden. Er verfolgte damit das Ziel, den geringen Platz in seinem Sommerhaus optimal zu nutzen und auch zwei Funktionen mit einander zu verflechten: Einerseits Raum für Unterhaltung und zum Ausruhen auf bequemen Sitzmöbeln zu schaffen und mit der Funktion des Esszimmers zu vereinen. Der Raum besaß an einer Seite eine große Fensterfront mit Zugang zu einem Balkon und einer beeindruckenden Aussicht auf die bairischen Voralpen.

Das Stadtmuseum Münster widmet Pankok ein eigenes Kabinett, was so nur noch für den Maler Jan Bockhorst, dem münsterischen Rubens-Schüler aus dem 17. Jahrhundert, realisiert worden ist. Der überregionalen Bedeutung der beiden Künstlerpersönlichkeiten wird so Rechnung getragen.

Kulturabdruck: Wie bewerten Sie das vielseitige Werk Pankoks hinsichtlich seines Einflusses auf Kunst, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft?

Barbara Rommé: Als Mitglied des Deutschen Werkbundes gehörte Bernhard Pankok zu den Wegbereitern des Bauhauses in Bezug auf funktionsgerechtes Design und die Neugestaltung des alltäglichen Lebensraums: Das Ornament sollte in den Hintergrund gedrängt und die klare Formensprache herausgearbeitet werden.

Bernhard Pankok: Wohn- und Speisezimmer aus Baierbrunn, Anrichte, München 1906/1907

Doch stand bei Bernhard Pankok die handwerklich herausragende Umsetzung der von ihm entworfenen Innenausstattungen im Vordergrund – die Münchner Werkstätten, in denen auch das Wohn- und Speisezimmer gefertigt wurde, waren dafür ein Garant. 1897 gehörte er gemeinsam mit den Künstlern Richard Riemerschmid, Bruno Paul und Hermann Obrist zu den Gründungsmitgliedern der Vereinigten Werkstätten für Kunst und Handwerk. Diese Künstler lehnten aber im Gegensatz zum Bauhaus die industrielle Massenproduktion ab, die das Bauhaus als „gutes Design für die breite Masse“ anstrebte. Gemeinsam war beiden Strömungen der Wunsch, die Stilpluralität des Historismus mit seiner überbordenden Ornamentik zu überwinden.

Bernhard Pankok beschäftigte sich mit der gesamten Bandbreite der Bildenden Kunst von der Malerei über die Skulptur und dem Kunsthandwerk bis zur Architektur. Er schuf aber auch Druckgrafiken und Kostüme für die großen Bühnen in Deutschland. Bernhard Pankok war im besten Sinne ein Allround-Künstler, der seine gesamte Lebenswelt als Herausforderung für eine überzeugende Gestaltung verstand.

Sehr gut kann man seinen Anspruch an den Puppenmöbeln für seine drei Töchter ablesen, die nicht nur von ihm entworfen, sondern auch auf hohem handwerklichen Niveau in den Münchner Werkstätten als Vollholzmöbel gefertigt worden sind. Die gesamte Lebensumwelt sollte ästhetisch gestaltet und herausragend gefertigt sein. Er stellte auf Kunst- und Weltausstellungen aus und gewann für seine Arbeiten Preise: Erkerraum, 1899, Weltausstellung Paris 1900; Damenzimmer, Kunstausstellung Dresden 1901; Musikzimmer, Weltausstellung St. Louis 1904; Musikzimmer, Ausstellung des Deutschen Werkbundes, Basel und Berlin 1917.

Bernhard Pankok: Puppenwiege, München um 1910

Außerdem zeichnete er für die Innenausstattung von Luxustransportmitteln der Zeit verantwortlich z.B. für zwei Bodenseedampfer (1908/09 und 1913) sowie die Passagierkabinen von Zeppelin-Luftschiffen (1911/19). Er gestaltete aber auch Kunsträume wie das Ateliergebäude der Vereinigten Württembergischen Kunstfreunde, Stuttgart (1906) und der Ausstellungspavillon in Dresden und Köln (1906). Pankok wurde 1932 Dr.-Ing. ehrenhalber und in die Kunstakademien von Berlin (1925), Stuttgart (1932) und München (1933) aufgenommen. Daraus ergibt sich, dass seine Zeitgenossen die Bedeutung von Bernhard Pankok als Künstler und Lehrer hoch einschätzten.

Kulturabdruck: Wie kam Pankoks Wohn- und Speisezimmer überhaupt nach Münster?

Barbara Rommé: Leider sind durch die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs zahlreiche herausragende Arbeiten von Bernhard Pankok im Bereich der Innenarchitektur zerstört worden. Dies hat dazu geführt, dass das Schaffen Bernhard Pankoks zum großen Teil in Vergessenheit geraten ist. Insbesondere das Haus Rosenfeld in Stuttgart (1910/1912) gehört zu den Glanzleistungen der deutschen Innenarchitektur – leider ist auch dieses Haus im Zweiten Weltkrieg ein Opfer der Bomben geworden. Das Stadtmuseum besitzt aber einige Werke, die mit der Gestaltung des Hauses in Zusammenhang stehen wie z.B. das aufwendig von Hand geschnitzte Modell eines Spiegelrahmens oder Mahagonistühle, die Pankok für sich privat nach Entwürfen für das Haus fertigen ließ.

Bernhard Pankok: Stuhl aus Mahagoni für Haus Rosenfeld in Stuttgart, 1910-1912

Das Wohn- und Speisezimmer für sein Ferienhaus in Baierbrunn ist eine der wenigen fast vollständig erhaltenen Raumausstattungen Bernhard Pankoks. Es entstand darüber hinaus in einer Phase, als Bernhard Pankok schon weitgehend den floralen Stil des Jugendstils hinter sich gelassen hatte und strenge Umrissformen für seine Möbel bevorzugte. Diese gehören demnach zu der wichtigen Umbruchszeit weg vom Jugendstil zur funktionsbetonteren, sachlicheren Gestaltung. Da er die Möbel zur Innenausstattung seines geliebten Ferienhauses südlich von München selbst entworfen hatte und seine Fertigung von ihm höchstpersönlich betreut worden ist, gehören diese zu den bedeutendsten Ensembles aus seinem Schaffen. Er wollte dieses Ferienhaus zum Ausweis seines Könnens machen.

Bernhard Pankok wohnte mit seiner Familie in seinem Sommerhaus in Baierbrunn immer wieder auch länger. Dass der Künstler dieses Ferienhaus besonders schätzte, ergibt sich auch daraus, dass er 1943 dort verstarb. Das Haus wurde zu Beginn der 1970er Jahre abgerissen – nur die Möbel und einzelne Details wie die Türklinke oder Keramikfliesen aus der Eingangstür wurden gerettet. Diese Objekte sind nun im Stadtmuseum erhalten.

Das Ornament spielt beim Wohn-Speisezimmer aus Baierbrunn nur noch eine untergeordnete Rolle, doch selbstverständlich gehörte zu seiner Innenarchitektur auch die Gestaltung des Fußbodens, der Wände und der Decke. Diese umfassende Gestaltungsweise ist durch die Rekonstruktion der gesamten Raumschale ausschließlich noch im Stadtmuseum Münster für Besucherinnen und Besucher nachvollziehbar. So ergibt sich beispielsweise ein Grünklang vom Fußboden über die Polster der Sofas und der Stühle und ein Goldklang von den Kronleuchtern über die Ornamente an den Wänden bis zur Türklinke. Eine einfache Blütenornamentik findet sich als Intarsie auf einzelnen Schranktüren und kehrt als abgewandeltes Motiv im Deckenstuck wieder.

Bernhard Pankok: Wohn- und Speisezimmer aus Baierbrunn, rekonstruierter Deckenspiegel

Der Förderverein des Stadtmuseums Münster hatte das ungeheure Glück, große Teile des Nachlasses von Bernhard Pankok aus dem Besitz einer Tochter zu erwerben. Noch als hochbetagte Dame wohnte sie in den Möbeln aus Baierbrunn und hegte und pflegte das Erbe ihres Vaters. Erst nach ihrem Tod kam der Schatz ins Stadtmuseum und kurz darauf wurde ein eigenes Kabinett zum Werk Bernhard Pankoks im Museum eingerichtet. So kamen nicht nur Gemälde mit Porträts aller Familienmitglieder oder das Wohn- und Speisezimmer aus dem geliebten Ferienhaus der Familie Pankok nach Münster, sondern auch Modelle und Entwürfe für Innenausstattungen oder für Bühnengestaltungen, die nicht immer realisiert worden sind.

Kulturabdruck: Planen Museum und/oder die Stadt Münster besondere Aktivitäten zum 150. Geburtstag Pankoks im nächsten Jahr?

Barbara Rommé: Das Stadtmuseum Münster verfügt neben dem wertvollen Möbelensemble und einer reichen Gemäldesammlung auch über einen großen grafischen Bestand. Fast sämtliche Druckgrafien Bernhard Pankoks sind vorhanden und zahlreiche Zeichnungen der unterschiedlichsten Genres.

Bernhard Pankok: Gutschein für die Aline

Ein ganz besonderer Schatz stellen die Zeichnungen Bernhard Pankoks für seine Familie dar – witzige, karikaturhafte Zeichnungen zu Geburtstagen und Weihnachten oder phantasievolle „Verpackungen“ für die Geldgeschenke der älter werdenden Töchter. Der feine Humor und der liebevolle Umgang in der Familie ist so spürbar. Diese mehrere Dutzend Zeichnungen umfassende Sammlung verdanken wir der Schenkung eines Enkels von Bernhard Pankok. Eine große Auswahl aus diesem familiär geprägten Bestand kommt 2022 anlässlich des 150.Geburtstages von Bernhard Pankok erstmals zur Präsentation im Stadtmuseum Münster. Die Arbeiten wurden in der Regel noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt.

Link-Tipps:

Informationen zu Bernhard Pankok im Stadtmuseum Münster gibt es u.a. auf einer Seite über die „Glanzlichter der Sammlung“ (➤ Link).
Außerdem zeigt das LWL-Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster (➤ Link) Möbel, Kunstgewerbe und Gemälde von Bernhard Pankok. Mit dem Besuch beider Häuser lässt sich ein guter Überblick über das Schaffen Bernhard Pankoks erlangen.