In Verborgenheit weiterschreiben

Sie war eine der produktivsten und eigenwilligsten Komponistinnen des 20. Jahrhunderts, erfuhr aber selten eine größere Resonanz Resonanz. Das Else Ensemble stellt Johanna Senfter (1879-1961) nun mit einem Querschnitt ihrer eindrucksvollen Kammermusik vor.

Dass Johanna Senfter nach dem Zweiten Weltkrieg fast vollständig in Vergessenheit geriet, hatte gleich mehrere Ursachen. Neben ihrem bescheidenen Naturell, welches das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit – wenn möglich – mied, spielte die nun nicht mehr zeitgemäße spätromantische Tonsprache, der sie trotz einer kontinuierlichen künstlerischen Entwicklung zeitlebens verhaftet blieb, zweifellos eine entscheidende Rolle. Hinzu kam die fortgesetzte Benachteiligung von Frauen im Musikleben und Konzertbetrieb sowie eine schwere (wenngleich wohl einmalige) politische Verfehlung, die erst nach 1945 diskutiert wurde. Anlass war Senfters 6. Symphonie aus dem Jahr 1933, in der sie das Horst-Wessel-Lied zitiert hatte. Zu den näheren Umständen äußerte sich die Komponistin nie.

Zu Anfang des Jahrhunderts, als ihr Lehrer Max Reger seiner Lieblingsschülerin half, die eine oder andere Tür zu öffnen, und in den 1920er Jahren, als Johanna Senfter eine einflussreiche Rolle im Kulturleben ihrer Geburtsstadt Oppenheim spielte, bestand einige Hoffnung, dass diese Frau im männerdominierten Musikbetrieb einen Platz finden würde. Nach 1945 war davon keine Rede mehr. Franziska Kottmann zitiert Senfter in einem Radio-Essay mit den Worten, der Verband Deutscher Tonsetzer werde „sich beherrschen, Werke von Frauen, die ja bekanntlich nur Minderwertiges zuwege bringen, aufzuführen.“ Außerdem befürchtete sie, dass ihre Arbeiten „schwer zugänglich“ seien und „nicht als voll anerkannt“ würden. „Ich bin halt dazu ersehen, hauptsächlich durch meine unglückliche Natur, in Verborgenheit weiter zu schreiben“, so Senfter.

Erst Jahrzehnte nach dem Tod von Johanna Senfter erwachte das Interesse an ihrem Werk wieder – wissenschaftlich erschlossen ist es bis heute aber nur zum Teil und auch im Konzert oder auf Tonträger begegnet man ihm allenfalls sporadisch. Das Else Ensemble vermittelt auf der 2021 und 2023 eingespielten Doppel-CD einen prägnanten Eindruck von der vielschichtigen, phantasievollen, oft an den Grenzen der Tonalität geschärften Kammermusik Senfters.

Den Hörer erwarten großartig interpretierte Höhepunkte dieses Oeuvres – vom hyperromantischen, 1911 komponierten Quartett für Klavier, Violine, Viola und Kniegeige über die phänomenale Sonate für Klarinette und Klavier (1925) und das eindringliche Quintett für Klarinette und Streichquartett (1950) bis zu Johanna Senfters mutmaßlich letztem Werk, das Violine, Cello und Klavier mit barocken Formen spielen lässt und den Titel „Kleines, leichtes Trio“ trägt.

Johanna Senfter: Kammermusik, 2 CDs, cpo