Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts galt die aufblühende Sportbewegung als Beispiel für die gelingende Integration jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Oft funktionierte das Zusammenleben so selbstverständlich wie auf dem oben zu sehenden Bild, das den jüdischen Fußballer und Sportfunktionär Carl Meyer (mittlere Reihe, ganz rechts) neben seinen Mannschaftskameraden von Ballsport Eversburg zeigt. Doch es gab auch schon vor 1933 antisemitische Ausfälle und mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden jüdische Sportler endgültig Opfer einer systematisch diskriminierenden und gewalttätigen Ausgrenzung.
Ein unaufgeregtes Beispiel für eine offenbar selbstverständliche Mitgliedschaft jüdischer Aktiver liefert der heutige Fußball-Drittligist SV Meppen, wo neben den Brüdern Fritz und Hans Cohen Mitte der 1920er Jahre auch Kurt Visser kickte – der zudem im örtlichen Tennisverein den Schläger schwang. In Münster waren jüdische Sportler in verschiedenen Vereinen aktiv: so etwa das Ehepaar Louise und Walter Gumprich sowie die Tennisspielerin Gerda Grabe beim SC 08; Herbert Lesser beim Schwimmverein SV Niedersachsen von 1895; Richard Frankenstein, Schiedsrichter Walter Bernstein sowie die leichtathletisch orientierten Brüder Ernst und Werner Rappoport beim heutigen Traditionsklub SC Preußen 06, Leo Steinweg als erfolgreicher Motorradrennfahrer und schließlich Samuel Altmann, Max Cohnen, Hermann Rappoport und Paul Wolf im Freiballonsport-Verein Münster-Münsterland. Wolf war in den 1920er Jahren zudem als international aktiver Leichtathlet bekannt geworden.
Ihren Spuren ist der Hannoveraner Sportgeschichts-Professor Lorenz Peiffer mit zwei Forschungsprojekten nachgegangen, in denen er mit seinen jeweiligen Ko-Autoren Henry Wahlig und Arthur Heinrich das Material für Handbücher über „Juden im Sport“ während der Weimarer Republik und der NS-Zeit in Niedersachsen/Bremen und Nordrhein-Westfalen zusammentrug. Dem Trio ist es gelungen, einerseits ein unaufgeregtes Bild von der Integrationskraft des Sports vor 1933 zu zeichnen, der jüdischen Mitbürgern auf dem Lande wie in den Städten im Wettkampf, als Schieds- oder Kampfrichter sowie als Funktionäre gesellschaftliche Anerkennung verschaffte. Andererseits gab es auch gezielte Ausgrenzung, wenn nationalistisch oder rassistisch orientierte Vereine jüdische Aktive verdrängten und bisweilen offenen Antisemitismus predigten.
Antisemitismus und jüdisches Selbstbewusstsein
Eines der besonders frühen und unrühmlichen Beispiele hierfür liefert der Osnabrücker Turnverein (OTV/heute OSC), der seit 1924 seine jüdischen Mitglieder unter dem Einfluss des rechtsradikal agierenden Funktionärs Fritz Frömbling – Mitbegründer des späteren Drogerie-Unternehmens „Ihr Platz“ – ausschloss und damit die späteren Restriktionen der Nationalsozialisten vorwegnahm. Zu den jüdischen Förderern des OTV hatte zunächst auch Philipp Nussbaum gehört, dessen Sohn Felix um 1930 als äußerst talentierter Künstler auch das Thema Sport in seinen Bildern in Szene setzte. Nach ihrem Rausschmiss gründeten ehemalige jüdische OTVer im Mai 1924 den „Jüdischen Sportverein“ Osnabrück, der nicht nur mehrere Fachabteilungen aufbaute, sondern auch durch sportliche Leistung von sich reden machte. Als Trainer stand ihnen der Osnabrücker Sport-Vordenker und -Lehrer Ernst Sievers zur Seite, der als Nicht-Jude dem OTV nun solidarisch den Rücken kehrte. Parallel erwies er sich als Motor der Osnabrücker Sportstätten-Planung der 1920er und frühen 1930er Jahre.
Zudem gab es jüdische Grenzgänger zwischen den Osnabrücker Vereinen. Carl Meyer von der Artilleriestraße gehörte zu den maßgeblichen Wegbereitern des „Jüdischen Sportvereins“, der sich unter seinem Einfluss – wohl vergeblich – um die Aufnahme in den Westdeutschen Spielverband (WSV) bemühte und ihn schon im ersten Jahr zum Ehrenvorsitzenden ernannte. Immerhin war der Sportfunktionär zu diesem Zeitpunkt Jugendobmann des Fußballbezirks Osnabrück und vermutlich ebenfalls beim Osnabrücker Fußballverein 06 und bei Ballsport Eversburg aktiv (gewesen). 1932 zeichnete ihn der WSV-Vorstand für besondere Verdienste mit der goldenen Ehrennadel aus: „Wenn man berücksichtigt, daß er hier unter starken antisemitischen Anfeindungen zu leiden hat, so ist die Auszeichnung besonders hervorzuheben“, kommentierte eine jüdische Zeitung die Ehrung. 1936 wanderten Carl Meyer und seine Familie nach Argentinien aus und überlebten so den Holocaust.
Vor allem in Ballungsräumen entstanden jüdische Sportvereine vor 1933 auch ohne Zwang und repräsentierten dabei unterschiedliche Lager innerhalb der jüdischen Gemeinden. So konkurrierten überregional die drei jüdischen Sportverbände Schild, Vintus und Makkabi, die als vaterlandstreuer sportlicher Zweig des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF), als eher neutral positionierte Sportorganisation sowie mit einem zionistisch orientierten Angebot in Erscheinung traten. Sie organisierten sich wie auch die Arbeitersportler oder die katholische Deutsche Jugendkraft (DJK) dabei durchaus in einem eigenen separaten Spiel- und Wettkampfbetrieb. Allerdings konnten Juden wie Protestanten trotz religiöser Differenz vor 1933 in DJK-Vereinen aktiv werden, wenn sich ihnen – so die Richtlinien des katholischen Verbandes – vor Ort keine Alternative bot. Dies war etwa bei DJK-Fußballern auf dem Hümmling oder im Raum Fürstenau der Fall.
Verbote und Ausschlüsse
Mit der Machtübernehme der Nationalsozialisten schlug 1933 die häufig positive Grundstimmung um, und jüdische Aktive wurden massiv aus den Vereinen gedrängt oder ausgeschlossen. Papenburgs Bürgermeister Janssen versuchte nun einen jüdischen Sportangler aus dem Angelsportverein Aschendorf ausschließen zu lassen, obwohl dieser als Veteran des Ersten Weltkriegs auch nach NS-Lesart zum Verbleib berechtigt gewesen wäre. In den Auseinandersetzungen stärkte jedoch der Kreisbauernführer „dem Juden Leser“ erfolgreich den Rücken, indem er dessen persönlich-biografische Angaben zum Kriegseinsatz bestätigte und auch sonst „nichts schlechtes“ über ihn sagen wollte. Darüber hinaus tue seine Ehefrau „im stillen viel Gutes“.
Härter traf es dagegen Sally Baier, der dem Vorstand des Schützenvereins in Papenburg-Obenende als Kassierer angehört hatte: Er wurde unvermittelt vom Schützenfest ausgeschlossen und so auf üble Weise bloßgestellt. Ein weiteres Schlaglicht auf die angespannte Situation nach 1933 wirft im Münsterland ein Vorstoß des Burgsteinfurter Bürgermeisters, der 1935 auf Initiative der NSDAP-Ortsgruppe Juden den Besuch des im Vorjahr eröffneten städtischen Freibades untersagte: und dies „ohne Einverständnis der Regierung in Münster“.
Beschwichtigung der internationalen Sportwelt
Gleichwohl erlaubten die Nationalsozialisten im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 den nun angesichts massenhafter Vereinsausschlüsse vielfach neu gegründeten jüdischen Vereinen vorläufig einen halbwegs geregelten Trainings- und Sportbetrieb, wobei diese öffentliche Sportanlagen nur bedingt nutzen durften. Dem Regime ging es vor allem darum, die internationale Sportwelt zu beschwichtigen – insbesondere in den USA. Einen Ausweg aus der Sportstätten-Misere bot das Tischtennis, das auch in kleineren Räumen gespielt werden konnte.
Im münsterländischen Städtchen Borghorst gründete sich im November 1934 eine RjF-Sportgruppe, die offenbar ausschließlich Tischtennis betrieb und auch bei Mannschafts-Meisterschaften im Unterbezirk Münster des jüdischen „Schild-Gaues“ Westfalen antrat: so etwa zu Spielen am 24. März 1935 in Bentheim und am 28. März in Münster.
1936 fusionierten die Borghorster Tischtennisspieler mit ihren Burgsteinfurter Nachbarn und errangen im Mai gemeinsam mit ihnen unter dem Namen RjF Borghorst/Burgsteinfurt den zweiten Platz bei einem Tischtennis-Turnier. Weil bis 1940 drei Viertel der jüdischen Einwohner aus der Kreisstadt flohen, war schon zuvor die Existenz der Sportgruppe gefährdet. Am 11. Februar 1938 vermeldete der Sportverband „Schild“ deshalb: „Die Sportgruppe Burgsteinfurt ist aus den Listen des Sportbundes zu streichen!“
Schon im November 1933 hatten sich die aus den Vereinen des südlichen Ems- und des nördlichen Osnabrücker Landes verdrängten jüdischen Sportler zu einer regionalen RjF-Sportgruppe zusammengeschlossen, die zum Auftakt im Freundschaftsspiel gegen die DJK Fürstenau antrat. Als Sieger dieser Begegnung mussten sich die jüdischen Kicker anschließend jedoch auf Spiele gegen andere jüdische RjF-Gruppen beschränken, weil sich darüber hinaus keine weiteren Gegner fanden.
Nach den Olympischen Spielen von Berlin wurde der Sportbetrieb für die jüdischen Vereine zusehends schwieriger – nicht zuletzt wegen der sich nun verstärkenden Pogrome und Verfolgungen. Die Akteure emigrierten entweder oder wurden in Konzentrationslagern um ihre Freiheit oder gar um ihr Leben gebracht. Ein ehemaliger Fußballspieler war Fritz Heilbronn aus Lengerich im Emsland. Er überlebte den Holocaust und emigrierte in die USA, nachdem er zuvor im sogenannten „Judendurchgangslager“ Westerbork in den Niederlanden interniert war. Hier gehörte Fußball zum Lageralltag und stärkte das Selbstwertgefühl der Häftlinge. Im Konzentrationslager Theresienstadt wurden in den Jahren 1943 und 1944 sogar Fußballspiele im Ligabetrieb organisiert.
Die Schwimmerin Helga Hanauer kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Lingen zurück und machte auf regionaler Ebene durch ihre Erfolge auf sich aufmerksam. Als nach der deutschen Wiedervereinigung und dem politischen Wandel in der Sowjetunion zusehends jüdische Einwanderer in den Osnabrücker Raum kamen, gründete die dortige jüdische Gemeinde um 1990 eine regionale Makkabi-Sportgruppe – für die sich besonders Vorsteher Ewald Aul und Rabbiner Marc Stern einsetzten. Sie bot Fußball, Tischtennis und Schach an.
Drei Jahrzehnte später fand die bundesweite Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit ebenfalls in Osnabrück statt. Im März 2022 überreichte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Buber-Rosenzweig-Medialle gemäß des Rahmenthemas „Fair Play“ an Eintracht Frankfurts Präsidenten Peter Fischer sowie Makkabi-Präsident Alon Meyer als Vertreter des jüdischen Sportverbandes in Deutschland.
Literaturtipps:
- Lorenz Peiffer/Henry Wahlig, Juden im Sport während des Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen, Wallstein Verlag, Göttingen 2012
- Lorenz Peiffer/Arthur Heinrich, Juden im Sport in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Nordrhein-Westfalen, Wallstein Verlag, Göttingen 2019
- Henry Wahlig, Sport im Abseits. Geschichte der jüdischen Sportbewegung im nationalsozialistischen Deutschland, Wallstein Verlag, Göttingen 2015
- František Steiner: Fußball unterm gelben Stern. Die Liga im Ghetto Theresienstadt 1943-44. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Stefan Zwicker, Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn 2017