Ljudmila Ulitzkaja ist eine der erfolgreichsten russischen Gegenwartautorinnen – und eine scharfe Kritikerin der russischen Regierung. Eva Gerberdings sehenswertes Filmporträt entstand noch vor dem von Wladimir Putin befohlenen Überfall auf die Ukraine, die Erstausstrahlung ist auf arte zu sehen.
„Diese Macht ist unmenschlich!“ – Ljudmila Ulitzkaja hat aus ihrer Ablehnung der stalinistischen Diktatur nie einen Hehl gemacht und die Auswirkungen dieses Erbes bis in die unmittelbare Gegenwart verfolgt. Ihre Erzählungen und Romane spiegeln die Verwerfungen des 20. und 21. Jahrhunderts nicht aus der Perspektive der Mächtigen, sondern aus den Blickwinkeln derjenigen, die in die Mühlräder übergeordneter Entscheidungen geraten und trotzdem versuchen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Konflikte mit der Staatsmacht seien für russische Intellektuelle völlig normal, konstatiert sie fast beiläufig in der Dokumentation von Eva Gerberding, die Ljudmila Ulitzkaja nicht nur als literarische Ausnahmeerscheinung, sondern auch als moralische Instanz würdigt. Angst machen der jüdischen Autorin diese Konflikte aber nicht, weil sie weiß, dass es auf ihre Stimme ankommt. Aller Einschüchterungsversuche zum Trotz hält Ulitzkaja den Mächtigen immer wieder die Verstöße gegen Freiheit, Demokratie und Menschenrechte vor – so auch am 24. Februar 2022, als diese Dokumentation bereits abgedreht war:
„Der Wahnsinn eines Mannes und seiner ihm ergebenen Handlanger bestimmt das Schicksal des Landes. Wir können nur vermuten, was darüber in fünfzig Jahren in den Geschichtsbüchern stehen wird. Schmerz, Angst und Scham – das sind die Gefühle am heutigen Tag.
Schmerz – weil der Krieg alles Lebendige trifft – das Gras, die Bäume, die Tiere, die Menschen und ihre Kinder.
Angst – weil unser biologischer Instinkt auf die Erhaltung unseres Lebens und des Lebens unserer Nachkommen gerichtet ist.
Scham – weil offensichtlich ist, dass die Regierung unseres Landes die Verantwortung trägt für diese Situation, die großes Unglück über die gesamte Menschheit bringen könnte.“
Neben der Autorin, die in zahlreichen Interviewsequenzen vorgestellt wird, lässt das in Italien, Berlin und Moskau gedrehte Porträt auch Weggefährten wie ihre kongeniale deutsche Übersetzerin Ganna-Maria Braungardt oder die Lektorin Christina Links zu Wort kommen. Eine besondere atmosphärische Unterstützung erfahren die Bilder durch Schauspielerin Mechthild Großmann, die Passagen aus Ulitzkajas Werken liest.
Berühmt und unbequem – Ljudmila Ulitzkaja, Erstausstrahlung auf arte am 16. März 2022 um 22.00 Uhr, online verfügbar bis zum 13. Juni 2022.