Konzentrationslager

Braune Relikte (6): Das Lied der Moorsoldaten

Das NS-Regime ließ seine Gegner sofort verfolgen. Mitglieder von KPD und SPD sowie gewerkschaftlich organisierte Personen wurden in Gefängnissen und improvisierten Hafteinrichtungen eingesperrt. Daraus entwickelte sich ein komplexes Lagersystem, das symptomatisch für die Brutalität des NS wurde. Das Lied der „Moorsoldaten“* aus den Emslandlagern war Ausdruck des Widerstandswillens der Inhaftierten und wurde später zur Hymne der Friedensbewegung in der BRD.

Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand erließ Reichspräsident Hindenburg am 28. Februar 1933 die Verordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ zur „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“. Die Notverordnung ermöglichte es u.a. politische Gegner*innen ohne Angabe von Gründen und unter Ausschaltung der Justiz in sog. Schutzhaft zu nehmen. Bis zum Juni 1933 wurden zwischen 20.000 und 25.000 Personen, überwiegend von KPD, SPD und Gewerkschaften, in bald überfüllte Gefängnisse und andere provisorische Haftanstalten gesperrt. Zu den prominentesten Insassen gehörten etwa der Publizist Carl von Ossietzky (1889–1938), Friedensnobelpreisträger von 1935, oder der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann (1886–1944).

Bereits im April erteilte das Preußische Innenministerium dem Osnabrücker Regierungspräsidenten den Auftrag, im Emsland für die Unterbringung von 3.000 bis 5.000 Gefangenen mehrere Lager einzurichten. Im Sommer 1933 wurden die Konzentrationslager Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum als „Staatliches Konzentrationslager Papenburg“ fertiggestellt und mit 4.000 Häftlingen belegt. Dazu gehörten neben politischen Gegner*innen bald auch Zeugen Jehovas und sog. Sicherungsverwahrte. Die Gefangenen, die sich selbst „Moorsoldaten“ nannten, wurden bei der Kultivierung der emsländischen Moore zur Zwangsarbeit herangezogen. Was die Zustände in den Lagern betraf, so verhöhnte das Esterwegener Lagermotto „Toleranz ist Schwäche“ humane Standards.

Mit der Neuorganisation des KZ-Systems unter Aufsicht der SS im Sommer 1934 wurden die Lager Neusustrum und Börgermoor als KZ aufgelöst und von der preußischen Justiz als Strafgefangenenlager übernommen. Esterwegen blieb bis zu seiner „Verlegung“ nach Sachsenhausen im August/September 1936 als Konzentrationslager bestehen und wurde ab Januar 1937 als Lager VII ebenfalls Strafgefangenenlager. Daneben bestanden die Lager I Börgermoor, II Aschendorfermoor, III Brual-Rhede, IV Walchum, V Neusustrum und VI Oberlangen mit Platz für zunächst 5.500 Gefangene, bevor 1938 im mittleren und südlichen Emsland acht weitere Strafgefangenenlager errichtet wurden: VIII Wesuwe, IX Versen, X Fullen, XI Gross-Hesepe, XII Dalum, XIII Wietmarschen, XIV Bathorn und XV Alexisdorf.

In den Strafgefangenenlagern wurden bis Kriegsende nahezu 70.000 Menschen inhaftiert, darunter u.a. Kriminelle (nach heutigem Rechtsverständnis), Homosexuelle, politische Gegner, sog. Asoziale und, ab Kriegsbeginn, zunehmend wehrmachtgerichtlich verurteilte Soldaten. In einem Teil des Lagers Esterwegen und in Börgermoor wurden 1943/44 außerdem westeuropäische Widerstandskämpfer, sog. Nacht und Nebel-Gefangene, inhaftiert. Bereits im September 1939 übernahm das Oberkommando der Wehrmacht die Lager VI und VIII bis XI und nutzte sie als Kriegsgefangenenlager bis Kriegsende für weit über 100.000 Soldaten aus der Sowjetunion, Frankreich, Belgien, Polen und Italien. 1944/45 dienten die Lager Dalum und Versen der SS kurzzeitig als Außenlager des KZ Neuengamme. Im April 1945 wurden die Häftlinge der Emslandlager von britischen, kanadischen und polnischen Truppen befreit.

* Wir sind die Moorsoldaten

Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nicht erquicket,
Erlen stehen kahl und krumm.

Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor.

Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut.
Wo wir ferne jeder Freude
hinter Stacheldraht verstaut.

Wir sind die Moorsoldaten …

Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin.
Graben bei dem Brand der Sonne,
doch zur Heimat steht ihr Sinn.

Wir sind die Moorsoldaten …

Auf und nieder gehn die Posten,
keiner, keiner kann hindurch,
Flucht wird nur das Leben kosten!
Vierfach ist umzäunt die Burg.

Wir sind die Moorsoldaten …

Heimwärts, heimwärts jeder sehnet
zu den Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.

Wir sind die Moorsoldaten …

Doch für uns gibt es keine Klagen,
ewig kann´s nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.

Dann zieh´n die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor.

Text: Johann Esser und Wolfgang Langhoff
Musik: Rudi Goguel
Entstanden 1933 im Konzentrationslager Börgermoor

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.