Sie war eine überaus produktive und eine der politisch engagiertesten Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Doch das Interesse an der Französin Elsa Barraine ist erst in den letzten Jahren wieder aufgeflackert und neuere Einspielungen ihrer Werke suchte man bisher vergebens. Nun hat Elena Schwarz mit dem WDR Sinfonieorchester die Symphonie Nr.1 und 2 sowie zwei weitere Orchesterwerke aufgenommen.
1929, mit gerade einmal 19 Jahren, gewann sie den renommierten „Prix de Rome“. Doch der musikalische Triumph, den Elsa Barraine ihrer Jeanne d´arc-Kantate „La vierge guerrière“ zu verdanken hatte, konfrontierte sie in der italienischen Hauptstadt auch unmittelbar mit dem Siegeszug des italienischen Faschismus.
Künstlerische Entwicklung und politische Bewusstseinsbildung waren von nun an nicht mehr voneinander zu trennen, auch wenn die junge Frau mit jüdischen Wurzeln der Musik bisweilen explizit den Vorwurf machte, es nicht geschafft zu haben, die verbrecherischen, destruktiven Kräfte in der Welt zu besiegen. „Ich kann erst wieder zu Dir kommen, wenn das Böse ausgerottet ist, schrieb Barraine – an ihre Kunst gewandt – während der Zeit in der französischen Résistance.*
Am Ende gelang es ihr, Kunst und Politik dann doch zu verbinden. Elsa Barraine blieb gesellschaftlich engagiert und schuf gleichzeitig ein vielgestaltiges Oeuvre, das auf dem Boden der Tonalität blieb, den zum Zerreißen gespannten Konflikten der Moderne aber keineswegs auszuweichen suchte. Das Orchesterstück „Pogromes“ schrieb sie 1933 mit Blick auf die „tragische Aktualität“, die das zugrunde liegende Gedicht von André Spire inzwischen erhalten hatte und auch die 2. Symphonie mit dem Titel „Voïna“ (russisch für „Krieg“) spiegelt in seinen zerrissenen Klangkaskaden das dramatische Zeitgeschehen und Barraines Befürchtungen, das noch Schlimmeres folgen würde, unmittelbar wider.
Die 1938 komponierte Symphonie wurde bereits aufgenommen, ihren Vorgänger aus dem Jahr 1931, die „Pogromes“ und die 1953 entstandene „Musique funèbre pour la Mise au tombeau du Titien“ für Klavier und Orchester stellen das WDR Sinfonieorchester unter Elena Schwarz und der Pianist Alberto Carnevale Ricci als Weltersteinspielungen vor. Die fesselnde, rhythmisch prägnante, aber auch lange Melodielinien voll ausspielende Darbietung hebt einen Schatz der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, dem weitere Aufführungen zu wünschen wären. An einer bloß musealen Ausgrabung ihres Schaffens wäre wohl niemand weniger interessiert gewesen als Elsa Barraine …
Elsa Barraine: Symphonien Nr. 1 & 2; Illustration symphonique pour Pogromes d’apres Andre Spire; Musique funèbre pour la Mise au tombeau du Titien, cpo