Kurswechsel in Kurzgeschichten

Unsere Welt ist durcheinander – oder zumindest bemerken wir es jetzt auch hier. Vieles könnte, müsste anders sein. Nur wie? Kurzgeschichten bieten hier ein hervorragendes Experimentierfeld, um Dinge einmal anders laufen zu lassen. Kleine Veränderungen können große Folgen haben, im Guten wie im Schlechten. Was wir tun, hat Konsequenzen – ob wir es nun merken oder nicht. Aber auch, was wir nicht tun, kann Konsequenzen haben, ob wir sie nun mitbekommen oder jemand anderes. Was für das Leben wie ein Allgemeinplatz klingt, kann uns im Schreiben helfen, wenn wir Geschichte bauen.

Diese leben nämlich von Konflikten und Konflikte entstehen oft um Dinge oder Sachen herum. Da ist eine Sache und zwei wollen sie haben. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Sache oder dieses Ding am Ende nur von einer Person besessen oder genutzt werden kann, dann laufen diese Konflikte – wie leider oft auch in der Realität – auf eine ausschließende Konfliktlösung hinaus. Zwei – oder mehr – Parteien kämpfen um diese Sache und nur eine kann gewinnen. Es gibt am Ende Gewinner und Verlierer. Der Verlierer sinnt auf Rache und schon entsteht der nächste Konflikt. So etwas ist gut ist für eine Telenovela, aber wenn wir in unserer Story den Konflikt so beenden wollen, dass er nicht schon bald wieder von vorne losgeht, brauchen wir eine andere Lösung.

Seit einiger Zeit entsteht auch in Deutschland eine ShareEconomy, in der Dinge immer weniger besessen, sondern für den Gebrauch geliehen werden. Denken wir uns für unsere Story ein ganz praktisches Beispiel: Wie würde eine Welt aussehen, in der es immer weniger persönlichen Besitz gäbe und die Dinge mehr geteilt würden? Wie würde eine Welt aussehen, in der es überhaupt keine Autos in persönlichem Besitz gäbe, sondern nur noch Leihautos, die dafür großflächig verfügbar sind. Welche Konflikte wären gelöst? Wo würden neue Konflikte entstehen?
Die Geschichten können in der Zukunft spielen, wenn diese Angebote schon selbstverständlich sind – so könnten Leser durch ihre Geschichten quasi einen Blick in die Zukunft werfen. Die Geschichten können aber auch in der Gegenwart spielen, wenn die Angebote gerade neu eingeführt werden.

Wie wichtig ist einer Figur ihr Ziel?

Denken wir uns jemanden, der in der Gegenwart auf dem Land wohnt und auf sein Auto mehr oder weniger angewiesen ist. Damit haben wir die Hauptperson. Die Person muss vielleicht schnell in die Stadt. Damit haben wir die Motivation der Figur. Jetzt klären wir noch, warum die Figur in die Stadt muss. Sollte sie keinen schwerwiegenden und/oder drängenden Grund haben, wird die Figur nicht unbedingt viel unternehmen, wenn es nicht klappt. Wenn sie aber gerade auf dem Weg zum ersten Date oder einem wichtigen Geschäftstermin oder dem Geburtstag der Erbtante ist, sucht sie wahrscheinlich nach neuen Lösungen suchen, wenn ihr Auto nicht anspringt.

Und genau hier wird es spannend: Wir lernen am meisten über eine Figur, wenn wir sie in eine außergewöhnliche Situation bringen. Was ist die Figur bereit zu tun, um ihr Ziel dennoch zu erreichen? Werden wir konkret: Wenn die Figur vorher stolzer Autobesitzer und -fahrer ist und von dem ganzen neumodischen Schnickschnack wie CarSharing überhaupt nichts hält, wird es ihr nicht leichtfallen, CarSharing jetzt trotzdem das erste Mal zu nutzen. Und in genau dem Moment, wo wir der Figur bei der Entscheidung begleiten, haben wir die Möglichkeit, als Schreibende, tief in die Thematik einzusteigen, indem wir verschiedene Positionen zeigen, immer durch die Augen der Figur.

Machen wir es noch einmal wie oben, erhöhen wir den Einsatz: Wenn unsere Figur sich vorher vielleicht noch laut und öffentlich gegen die Idee des CarSharings positioniert hat, ist der zu überwindende Widerstand noch höher und wir können noch mehr Gedanken in die Figur hineinlegen. Und so haben wir eine elegante Möglichkeit, die vielen Facetten dieses (aber auch jedes anderen) Themas zu beleuchten und sie den Leser nacherleben zu lassen. Vielleicht gelingt es uns sogar, mehr Offenheit für ein wichtiges Thema zu erzeugen. Nur am Rande: Die Story kann natürlich auch genau entgegengesetzt laufen: Ein passionierter Nutzer der ShareEconomy stellt auf einmal fest, wie viele Daten ihm während der Nutzung abgesaugt werden und ändert sein Verhalten.

Schreibwerkstatt „Fair & Share“

Wer dieses Prinzip in einem Workshop direkt ausprobieren möchte, ist herzlich eingeladen, am 26. November 2022 in der Zentralstelle der Bücherhalle Hamburg an einer Schreibwerkstatt der Bücherhallen Hamburg teilzunehmen.

In diesem kostenlosen Kurzgeschichtenworkshop schauen wir auf die Dynamik von Geschichten und beobachten, was sich für unsere Figuren ändert, wenn wir ein paar Dinge für sie ändern. Anhand dieser Ideen entwickeln wir im Seminar Ideen für Kurzgeschichten zum Thema „Fair & Share“, bauen das Handlungsgerüst, suchen Personal für die Stories und schreiben so unsere eigenen Geschichten, die keine Antworten enthalten müssen, aber vielleicht bessere Fragen entwickeln …

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