Literarischer Streifzug durch Fischland, Darß und Zingst

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts zog das Fischland zahlreiche Wissenschaftler, Maler und Literaten in ihren Bann. Viele von ihnen hielten ihre Eindrücke fest und überlieferten sie der Nachwelt. Die Hamburger Soziologin und langjährige NDR-Mitarbeiterin Dr. Kristine von Soden hat aus der Vielzahl an Publikationen nun einen literarischen Streifzug durch die Entwicklung der beliebten Urlaubsregion zusammengestellt. Illustriert wird ihr Buch von  Aquarellen des Malers Georg Hülsse.

Pionier- und Entdeckergeist waren die Motive erster Reisender in dieser abgelegenen Region an der Ostsee. Land und Wasser durchdringen sich hier in einer für Ortsfremde faszinierenden Art und Weise. Die Ostsee auf der einen, der Bodden auf der anderen Seite, dazwischen ein schmaler Streifen Land, der sich gegen die anbrandenden Fluten behaupten muss. „Groß und erhaben ist der Charakter seiner Wildniß, die das tobende Meer umheult, und ihr Odem gleicht der Stimme von Amerikas finsteren Urwäldern“, schreibt der Dichter und Erzähler Thorwald (alias Friedrich von Suckow, 1789-1854) nach seiner Winterreise 1831 durch den Darßer Urwald.

Doch die unbekannte, wilde Landschaft, die es zu entdecken und zu vermessen galt, war nicht unbewohnt. Es lebten dort Menschen, die sich durch Fischfang und Schifffahrt auf die besonderen Eigenarten ihrer Heimat eingestellt hatten. Kein Wunder, dass 1846 in Wustrow die erste staatliche Navigationsschule Mecklenburgs eröffnet wurde. Von hier schwärmte einer der Dozenten, Christian Johann Friedrich Peters (1822-89) immer wieder zu Erkundungen aus und fasste seine Erkenntnisse 1862 in einem ersten Grundlagenwerk zur Entstehungsgeschichte und Geografie der Region zusammen.

Breitere Kreise wurden auf diesen abgelegenen Küstenstreifen jedoch erst aufmerksam, als die Maler kamen – und blieben. 1891 entdeckten der Landschaftsmaler Paul Müller-Kaempff und sein Kollege, der Tiermaler Oskar Frenzel, den kleinen Fischerort Ahrenshoop. Der scheinbaren Idylle erlagen in der Folge viele Künstler und Künstlerinnen und folgten den beiden Trendsettern. Der einsetzende Run auf die neue Künstlerkolonie wurde nicht nur positiv bewertet.

Die Eingeborenen merkten bald, daß aus ihrem Ort etwas zu machen sei. Häuser wuchsen aus dem Boden, und in den Wohnungen für Badegäste machte sich ein gewisser Komfort bemerkbar … Der Gastwirt bekam einen Konkurrenten, der außer einem blumigen Mosel auch noch einen sehr preiswürdigen Bordeaux führte. Die Preise, die zuerst ein leichtes Anschwellen gezeigt hatten, schnellten nach einiger Zeit auf überraschende Weise in die Höhe. Auch Kunstgenüsse fangen an sich einzubürgern. Ein Taschenspieler war schon hier, desgleichen ein Bärenführer und ein Leierkastenmann.

Mit spitzer Feder skizzierte Johannes Trojan (1837-1915), Chefredakteur des satirischen „Kladderadatsch“, die Entwicklung des kleinen Fischerdorfs zur Künstlerkolonie und dann zum Badeort. Aber die Herausgeberin Kristine von Soden lässt in ihrem Buch auch den Maler Müller-Kaempff selbst zu Wort kommen:

Eines Tages kamen drei Eingeborene geheimnisvoll zu mir und erzählten nach längerem Zögern von einem ´Kerl´, der bereits acht Tage da sei und gar nicht malen würde. „Wat will hei denn hier, wenn hei nich malt! Dat is en Spion! – Das war der erste Ahrenshooper Badegast.

Unter den in der Folge in großen Scharen anreisenden Urlaubern fanden sich zahlreiche, auch jüdische Wissenschaftler und Künstler. Albert Einstein verbrachte hier seine Sommerferien, der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer weilte 1935 zu einem Predigerseminar in Zingst, Gerhard Marcks und Marie Luise Kaschnitz hielten sich zu Besuchen bei ihrem Freund, dem Maler Alfred Partikel in Ahrenshoop auf. Am 30. Juli 1937 schrieb Kaschnitz in ihr Tagebuch:

Abends war Gerhard Marcks hier. Im äußeren Aussehen, charakterlicher Haltung wie in seiner Kunst als Deutscher, im besten Sinne nordisch, wird er jetzt in die Gruppe entarteter Künstler gerechnet und darf nicht mehr ausstellen. Muß mit Frau und Kindern an Auswanderung denken.

Nach dem Ende des 2.Weltkriegs wurde die einstige Künstlerkolonie Ahrenshoop zu einer Hochburg des 1945 im Berlin der „Sowjetischen Besatzungszone“ (SBZ) von Johannes R.Becher konstituierten Kulturbundes. Der Ort wurde zum „Bad der Kulturschaffenden“ gekürt. Neben Bertold Brecht, der an dieser Gegend kaum Gefallen fand, lässt die Herausgeberin von Soden u.a. den Verfasser des Textes der Nationalhymne der DDR, Johannes R.Becher, die irische Grafikerin und Kinderbuchautorin Elizabeth Shaw und den Schriftsteller Uwe Johnson zu Wort kommen.

Wissenschaftliche Betrachtungen, Urlaubserinnerungen, satirische Kommentare und persönliche Eindrücke ganz unterschiedlicher Menschen – die ausgewählten Beispiele reichen vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Durch die Mischung von historischen Darstellungen, Briefen, Gedichten, Erinnerungen, Tagebucheinträgen breitet die Herausgeberin ein großes Spektrum der unterschiedlichen Zeiten vor den Lesern aus. Ihr ist mit ihrer Textauswahl eine berührende, tiefschürfende und kenntnisreiche Geschichte einer der beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands gelungen.

„Wie schön! – Wie schön!“ sind auch die zur Illustration verwendeten Aquarelle des Malers Georg Hülsse (1914-96). Der einstige Theatergrafiker am Rostocker Volkstheater widmete sich mit Erreichen des 80.Lebensjahres ganz der Aquarellmalerei – mit Vorliebe Motiven seiner Heimat, dem Fischland, Darß und Zingst. „Ich mag die Bilder sehr wegen ihrer Stille, erdigen Farben und ausdrucksstarken Stimmungen“, sagt Kristine von Soden. Zudem passten sie in ihrer landschaftlichen Symbolik zur gesamten Halbinsel, nicht allein zu Ahrenshoop, wo sie ja vorwiegend entstanden sind. „Hülsse wird von Gästen wie Einheimischen hoch geschätzt, zugleich gehört er zu jenen, die nicht ständig in allen möglichen Publikationen präsent sind.“ Ausgewählt hat von Soden die Motive zusammen mit der Tochter des Malers.

Bei Interesse an literarischen Rundgängen durch Ahrenshoop, die von Juli bis Oktober angeboten werden, können sich Interessenten ➤ direkt an die Autorin wenden.

Kristine von Soden (Hg.). Wie schön! – Wie schön! Fischland, Darß und Zingst literarisch. Mit Aquarellen des Malers Georg Hülsse, Ellert & Richter Verlag, Hamburg, 2023, 25 €