Die wohl ungewöhnlichste Loreley-Darstellung aus dem Archiv Historische Bildpostkarten haben wir uns für den Schluss unserer kleinen Reihe aufgehoben. Sie trägt einen Poststempel vom 10. Februar 1928.
Hier tritt die Loreley als emanzipierte Frau auf, die in den sozial und politisch schwierigen 1920er Jahren um ihre Anerkennung kämpft. Von ihrer früheren Rolle als historische Sagengestalt, als Zentralfigur eines traditionellen Volksliedes, als femme fatale oder märchenhafte rheinische „Jungfrau“ will sie nichts mehr wissen.
Vorbei ist der Traum von der seltsam schönen, verführerischen Blonden, die den Männern so über alle Maßen gefällt, veraltet ist Heines romantisches Gedicht. Nunmehr ist die Loreley eine großgewachsene dunkelhaarige Person, die modern sein möchte und sich daher für einen „Bubikopf“, eine praktische Kurzhaarfrisur entschieden hat. Der Sitzplatz hoch oben auf dem berühmten Felsen dient offenbar nur noch dazu, der Öffentlichkeit möglichst medienwirksam – mit der Schere in der Hand – den langen, abgeschnittenen Zopf zu präsentieren, der – verziert mit rosa Schleifchen – in hohem Bogen im Rhein landet.
Beiseite gelegt werden auch die früheren Requisiten der Loreley, ihr goldener Kamm und ihre Lyra. Heines Gedicht ersetzt der etwas unbeholfene Text eines Hans vom Norden, der die neue Bubikopf-Mode preist und vorschlägt, alte Gewohnheiten gleich mit in den Rhein zu werfen.
Geblieben ist der prüfende männliche Blick auf das Erscheinungsbild der Loreley, das an Attraktivität offenkundig Einbußen erlitten hat. Zwar schaut unten im Segelboot ein Mann mit offenem Mund auf die „Jungfer Loreley“, winkt und ruft ihr etwas zu, das ist aber wohl eher als Kommentar zur medienwirksamen Show der Dame zu verstehen, und gilt nicht ihrer Anerkennung als Frau. Besonders begeistert scheint jedenfalls der Schiffer dieses Mal nicht zu sein. Die Blonde war ihm offenbar lieber.