Braune Relikte (27): Geschmolzenes Weckglas
Mit den alliierten Luftangriffen auf deutsche Städte kehrte sich die von Deutschland ausgehende Gewalt gegen Rüstungsindustrie und Infrastruktur und nicht zuletzt gegen die Zivilbevölkerung. Osnabrück wurde zwischen 1940 und 1945 in 78 Luftangriffen zu 65 Prozent, die Altstadt nahezu vollständig zerstört. Die Spuren der Kriegszerstörungen sind bis heute im Stadtbild nachvollziehbar.
Am 23. Juni 1940 erfolgte der erste Luftangriff auf Osnabrück. Bis 1942 hielten sich die Angriffe zunächst in Grenzen. Mit dem 20. Juni 1942 begannen die Großangriffe auf die Stadt. Am 15. Mai 1944 berichtete Käthe Boxtermann:
Nun hatten wir am Sonnabend schon wiederum einen Angriff um kurz vor 13.00 Uhr mittags war Alarm und um 14.10 Uhr fielen die ersten Bomben, da[s] war wohl der schwerste Angriff bislang. Vor allen Dingen, der ganze Schinkel ist fort. Stahlwerk total weg (70 %). Die Burschestraße wie umgepflügt. Ein Laufgraben wurde getroffen, wo 70-100 Menschen drin sitzen – alle tot. Man schätzt die Zahl der Toten auf 135 + 50 Vermißte und 100 Verwundete. Wir haben im Bahnhofsbunker gesessen, da merkte man es auch schlimm. […] Die Flugzeuge werfen aus ziemlicher Höhe die Bomben, der Bunker hat geschüttelt und wir standen Mann an Mann und dachten jeden Moment jetzt kommen die Decken. In 6 Wellen kamen die Viecher. Ich hab Angst ausgehalten um meinen Bruder u. Familie und konnte nicht hin. Da noch alles voll Blindgänger lag. Gott sei Dank hat es mal wieder gut gegangen, nur Fensterscheiben u. Türen heraus.
Neben dem Angriff vom 13. September 1944 ist der Palmsonntag (25. März 1945) als „Palmarum Qualmarum“ in besonderer Erinnerung der Osnabrücker Bevölkerung geblieben. Bei dem letzten, längsten und schwersten Angriff auf die Stadt bedingten 35 Luftminen, über 2.500 Sprengbomben und über 200.000 Brandbomben oder Kanister, dass die Stadt durch das entfachte und lange anhaltende Feuer nachhaltig zerstört wurde. 1.000 Wohnhäuser, etliche öffentliche Gebäude, Schulen und 13 Betriebe lagen in Trümmern. Tausende von Wohnhäusern und Gebäude erlitten schweren bis leichten Schaden. Es gab 175 Tote und 244 Verletzte. Während solcher schweren Angriffe entwickelte sich das – gewollte, weil besonders zerstörerische – Phänomen des „Feuersturms“, bei dem eine so ungeheure Hitze entstand, dass selbst Materialien wie das abgebildete Einmachglas schmolzen. Der Schmelzpunkt von Glas liegt bei 1.400°C.
Während der 78 Luftangriffe auf Osnabrück zwischen 1940 und 1945 kamen über 1.400 Menschen ums Leben, davon 268 ausländische Gefangene und Zwangsarbeiter. 1.694 Menschen wurden verletzt und 87.780 obdachlos. Wie viele andere Städte, so war auch Osnabrück bei Kriegsende nach den massiven Luftangriffen der alliierten Bomberverbände eine Ruinenlandschaft. Als die alliierten Truppen am 4. April 1945 in die Stadt einmarschierten, waren 65 % des gesamten Stadtgebietes zerstört. Die Innenstadt lag zu 85 % in Trümmern. Von 18.544 Gebäuden in Osnabrück blieben nur 7.418 unzerstört. Von 200.000 zuvor bestehenden Räumen konnten lediglich 70.000 genutzt werden.
Eine Schuttmasse von ca. 900.000 Kubikmetern bedeckte die Stadt. Um die Trümmerbeseitigung nach dem Krieg zu beschleunigen, wurde ab Oktober 1945 eine Feldbahn eingesetzt. Auf den im Stadtgebiet verlegten Gleisanlagen wurden die mit Schutt beladenen Loren zum Hoffmeyerplatz, dem Zentralbahnhof des „Schuttexpresses“, geschoben. Von dort aus brachte eine große Dampflok die gesammelten Schuttzüge zu den Mergelgruben nach Hellern. Bis Mai 1947 wurden 180.000 Kubikmeter Schutt abtransportiert. Das Phänomen der „Trümmerfrauen“ lässt sich für Osnabrück nur teilweise bestätigen.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.