Botanische Vorgänge können sich selbstverständlich auch in Versform entfalten. Dieser Dichter hat es allerdings mehr auf sehnsuchtsvolles Brüten, die Flügel des Eros und den Blumengeist im Abendlicht abgesehen.
Otto Heinrich Graf von Loeben pflegte eine Vorliebe für das klassische Sonett – vielleicht weil er innerhalb der strengen Form umso hemmungsloser phantasieren konnte. So entstand auch dieser Vierzehnzeiler, dessen solider Bau nicht verhindert, dass die Logik bisweilen im Sprudeln aller Säfte untergeht.
Otto Heinrich Graf von Loeben: Blühen
Entfalten sich im Abendstrom die Blüthen,
Da läuft zuerst ein Schaudern durch die Schäfte,
Zusammendrängend sprudeln alle Säfte,
Es will sich keiner vor dem andern hüten.Bis sie zur Einigung sich sanft geschieden,
Ziehn durcheinander die geweckten Kräfte,
Ein jedes ringt, wie es den Feind entkräfte,
Eh’ sie versöhnt Ein sehnsuchtsvolles Brüten.Wenn sich vor ihnen Abendröth’ entschleiert,
Da fühlen alle nur das eine Streben:
Daß in die Süße dort ihr Leben flüchte.Es rauscht die Knospe voll in sich, und feiert,
Das Chaos schweigt, wie Eros Flügel beben,
Der Blumengeist verströmt im Abendlichte.
Der Autor
Sein langjähriger Freund Joseph von Eichendorff sah in ihm die „erstaunlichste Karikatur der Romantik“. Otto Heinrich Graf von Loeben, geboren 1786 in Dresden und ebendort 1825 verstorben, gehörte in jedem Fall zu ihren eigenwilligsten Vertretern. Er brach sein Jurastudium ab, legte sich den Künstlernamen „Isidorus Orientalis“ zu und versuchte mit dem Roman „Guido“ (1808) den von ihm vergötterten Novalis noch zu übertreffen.
Seine schwärmerischen Dichtungen stießen immer wieder auf Ablehnung, aber auch auf Bewunderung. „Der bedingende Drang des Lebens hat sein Leben freudlos gemacht, weil er ihm widerstand, ohne seine Fesseln kräftig abschütteln zu können“, schrieb die Freundin und Kollegin Helmina von Chézy nach von Loebens frühem Tod.