#lyrik: Dunkel

Was können ernste Gemüter mit ein wenig Licht anfangen? Vielleicht mehr als die Sonnenkinder des Lebens. Diese Ahnung schürt ein funkelndes, schimmerndes Gedicht, das in farbiger Dunkelheit endet.

Strophe 1 lässt aufatmen: Die Dichterin reimt Herz nicht auf Schmerz. Ob Herz auf Scherz origineller ist, muss uns schon nicht mehr interessieren, denn das Farbenspiel, das von Knorr in der Folge entzündet, leuchtet über lyrisches Mittelmaß hinaus. In einer Zeit, in der  Claude Monet sein epochales Gemälde „Impression, Soleil levant“ (1872) auf die Leinwand brachte, lösen sich auch bei einer österreichischen Dichterin die klaren Umrisse und festen Zuordnungen auf. Tiefschwarz wird farbenlicht.

Josephine Freiin von Knorr: Dunkel

Wenn ich es auch hehle
In der Stunde Scherz:
Ja, mir ist die Seele
Dunkel und das Herz.

Herz und Seele dunkeln,
Nur so tiefschwarz nicht,
Daß sie nicht auch funkeln
Könnten farbenlicht.

Wie oft plötzlich schimmert
Eines Fittichs Sammt,
Die Granate flimmert,
Und der Purpur flammt;

So wie die Ranunkel,
Die Viole blüht:
So von Farbe dunkel
Ist auch mein Gemüth.

Die Autorin

Josephine Freiin von Knorr wurde 1827 in Wien geboren und starb 1908 im niederösterreichischen Gresten. Ihre Mutter war eine Freiin von Metzburg, der Vater Staatsrat und Gutsbesitzer. Die breitgefächerte Ausbildung umfasste mehrere Sprachen, sie lebte in Paris, Wien und auf dem Familiensitz Schloss Stiebar. Die Lyrikerin und Übersetzerin unterhielt Verbindungen mit berühmten Kollegen wie Franz Grillparzer und Ferdinand von Saar und war über Jahrzehnte eng mit Marie von Ebner-Eschenbach befreundet. 2016 erschien eine kritische Ausgabe des umfangreichen Briefwechsels der beiden Schriftstellerinnen. Ebner-Eschenbach schrieb für Josephine von Knorrs Gedichtband „Aus späten Tagen“ (1897) ein Geleitwort, das mit Knorrs eigenem Text „Dunkel“ schließt.