#lyrik: Ein Gesang wider den Neid

1621 wurde in Greifswald eine der außergewöhnlichsten Frauen ihrer Zeit geboren. Sibylla Schwarz schuf innerhalb weniger Jahre ein bemerkenswertes Oeuvre und erklärte schreibende Frauen zum Normalfall.

Es ist, bedenkt man das Alter und Geschlecht der Autorin, die Zeitumstände und den kulturellen Erwartungshorizont ihrer Mitbürger, ein in jeder Hinsicht spektakulärer Text. Da schreibt eine junge Frau mitten im Dreißigjährigen Krieg ein Gedicht gegen den Neid, um für das gesamte „weibliche Geschlecht“ einen gleichberechtigten Platz auf der literarischen Bühne einzufordern.

Selbstbewusst, eloquent und geistreich entwickelt Schwarz eine Beweiskette aus 23 Strophen, die zum ersten dezidiert feministischen Gedicht in deutscher Sprache wird.

Sibylla Schwarz: Ein Gesang wider den Neid

HAtt zwar die Mißgunst tausendt Zungen /
Und mehr dan tausend ausgestreckt /
Und kompt mit macht auf mich gedrungen /
So werd ich dennoch nicht erschreckt;
Wer Gott vertrawt in allen dingen /
Wirdt Weldt / wird Neidt / wird Todt bezwingen.

Hör ich gleich umb und umb mich singen
Die sehr vergifftete Siren;
So soll mich dennoch nicht bezwingen
Ihr lieblichs Gifft / und hell gethön;
Ich will die Ohren mir verkleben /
Und für sie frey fürüber schweben.

Gefellt dir nicht mein schlechtes Schreiben /
Und meiner Feder edles Safft /
So laß nur balt das Läsen bleiben /
Eh dan es dir mehr unruh schafft;
Das / was von anfang ich geschrieben /
Wird kein verfalschter Freund belieben.

Weistu mich gleich viel für zuschwetzen /
Von meiner Leyer ab zustehen;
So soll mich doch allzeit ergetzen
Das Arbeitsahme müssig gehen:
Laß aber du dein Leumbden bleiben /
Damit du mich meinst auff zureiben.

Ich weiß / es ist dir angebohren /
Den Musen selbst abholt zu sein /
Doch hat mein Phoebus nie verlohren /
Durch deine List / den hellen Schein:
Die Tugend wird dennoch bestehen /
Wen du / und alles wirst vergehen.

Ein grimmes Thier hat dich erzeuget /
Die Höllgöttinnen haben dich
An ihrer harten Brust geseuget /
Und Momus nennt dein Vater sich;
Dein Vaterland ist in der wüsten /
Da Basilisk und Eulen nisten.

Solt ich üm deinet willen hassen
Den allzeit grünen Helicon /
Und mich zu dir herrunter laßen /
So hett ich warlich schlechten Lohn.
Nein / ich bleib auf Parnaßus Spitzen /
Du magst in Plutons Reiche sitzen.

Was würde wol mein Phöbus sagen /
Wen ich das grüne Lohrberlaub
Mir würde selbst vom Häupte schlagen /
Und werffen in der Erdenstaub?
Euterpen1 würd es ja verdrüßen /
Wenn Ihre Magd wehr außgerißen.

Thalia würd es hoch empfinden /
Und Clio würde zürnen sehr /
Ließ ich die werthe Leyer hinden /
Und liebte Neid und Leümbden mehr:
Drüm laß nur ab mit deinen Rencken /
Mein zartes Alter baß zu krencken /

Vermeynstu / daß nicht recht getroffen /
Daß auch dem weiblichen Geschlecht
Der Pindus allzeit frey steht offen /
So bleibt es dennoch gleichwohl recht /
Daß die / so nur mit Demuht kommen /
Von Phoebus werden angenommen.

Ich darf nun auch nicht weitergehen /
Und bringe starcke Zeugen ein;
Du kanst es gnug an disem sehen /
Daß selbst die Musen Mägde sein:
Was lebet soll Ja Tugendt lieben /
Und niemandt ist davon vertrieben.

Gantz Holland weiß dir für zusagen
Von seiner Bluhmen Tag und Nacht;
Herrn Catzen2 magstu weiter fragen /
Durch den sie mir bekant gemacht:
Cleobulina3 wird wol bleiben /
Von der viel kluge Federn schreiben.

Was Sappho für ein Weib gewesen
Von vielen / die ich dir nicht nenn /
Kanstu bey andern weiter lesen /
Von den ich acht und fünffzig kenn /
Die nimmer werden untergehen /
Und bey den Liechten Sternen stehen.

Sollt ich die Nadel hoch erheben /
Und über meine Poesey /
So muß ein kluger mir nachgeben /
Daß alles endlich reisst entzwey;
Wer kann so künstlich Garn auch drehen /
Das es nicht sollt in stücken gehen?

Bring alles her auß allen Enden /
Was je von Menschen ist bedacht /
Was mit so klugen Meister Händen
Ist jemahls weit und breit gemacht /
Und laß eß tausend Jahre stehen /
So wird es von sich selbst vergehen.

Wo ist Dianen Kirch geblieben?
Des Jupters Bild ist schon davon;
Sind nicht vorlengst schon auffgerieben
Die dicken Mauren Babilon?
Was damahls teuer gnug gegolten /
Wird jetzt für Asch und Staub gescholten.

Doch daß / was Naso4 hat geschrieben /
Was Aristoteles gesagt /
Ist heut bey uns noch überblieben /
Und wird auch nicht ins Grab gejagt /
Sie leben stets und sind gestorben /
Und haben ewigs Lob erworben.

Was uns die Schar der Klugen lehret /
Wird heut noch durch der Feder Macht /
Auff Fama Pfeiffen angehöret /
Und uns zur Nachricht fürgebracht /
Ihr Lob wird weit und breit erschallen /
Bis alles wird zu Boden fallen.

Wan selbst das weite Rund von innen
Auch wehre lauter schwartze Dint /
So wird es doch nicht leschen können /
Wes man von den geschrieben findt /
Die mit geflügelten Gedancken
Nicht von der Weißheit bahne wancken.

Mein Opitz5 (dem das Lob gebühret /
Das Teutschlandt / seiner Sprachen Pracht
Und edlen Leyer halben führet /
Weil Er den anfang hat gemacht)
Wird billig oben an geschrieben
Bey den / die Kunst und Tugend lieben.

Sein Lob wird nicht verdecket werden /
Kein Neid verbirget seinen Preiß /
Weil selbst das große Rund der Erden
Mit seiner Kunst zu pralen weiß;
O möcht ich halb so guht nur singen /
Und so den Thon der Leyer zwingen!

Laß nur / O Neid! dein Leumbden bleiben /
Ich weiß es ohn dich mehr als wol /
Wen ich nicht mehr Poetisch schreiben /
Undt dieses hinterlassen soll.
Ich wil mich in die Zeit wol schicken /
Du solt mich doch nicht unterdrücken.

Ich wil hinfüro GOTT vertrawen /
Von dem soll sein mein Tichten all /
So kan mich auch für dich nicht grawen /
Drüm sag ich billig noch einmahl:
Wer GOTT vertrawt in allen Dingen /
Wird Welt / wird Neid / wird Todt bezwingen.

1 Euterpe, Thalia, Klio: Musen aus der griechischen Mythologie
2 Jacob Cats (1577-1660): niederländischer Jurist, Dichter und Politiker
3 Kleobuline: womöglich fiktive, in der Antike berühmte Dichterin
4 Publius Ovidius Naso = Ovid (43 v. Chr. – 17 n. Chr.): römischer Dichter
5 Martin Opitz (1597-1639): deutscher Dichter und Autor der epochalen Schrift „Buch von der Deutschen Poeterey“ (1624)

 

Die Autorin

Im Februar 1621 geboren, begann Sibylla Schwarz, Tochter des Greifswalder Bürgermeisters Christian Schwarz, vermutlich im Alter von zehn Jahren Gedichte zu schreiben. Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges schrieb die offenbar belesene junge Frau über Liebe und Tod, gesellschaftliche und religiöse Themen, die Bedeutung der Kunst und das Verhältnis der Geschlechter.
1638 erkrankte sie offenbar an der Ruhr und starb im Alter von nur 17 Jahren. 1650 wurden die Werke der „pommerschen Sappho“ unter dem Titel „Deutsche Poëtische Gedichte“ erstmals veröffentlicht, aus Anlass ihres 400. Geburtstages sind Neuausgaben bei Reinecke & Voß und im Secession Verlag für Literatur erschienen.