#lyrik: Frühmorgen am Strande

Wenn ein Stimmungslyriker, der sich durchgängig der Konvention verpflichtet fühlt, seine Bilder neu zusammensetzt, kann es interessant werden. Bei Carl Busse steigen am Morgen nicht die Vögel in die Luft, sondern die Toten aus dem Meer.

Der Tag beginnt beängstigend still. Dann „verleuchten“ die Lichter der Nacht, welche immer das gewesen sein mögen. Die unheimliche Atmosphäre, die sich frühmorgens am Strand ausbreitet, lockt die Geister der Verstorbenen an. Noch immer herrscht absolute Stille.

Aber jetzt wird sie durchbrochen. Wie in Fetzen gerissen halt der Gesang der weißen Wasserfrau über das Meer. Was uns ihre Lieder wohl zu sagen haben?

Carl Busse: Frühmorgen am Strande

Nun bricht in Näh und Fernen
Eine große Stille herein,
Hoch über den letzten Sternen
Kann es nicht stiller sein.

Es schimmern blasser und blasser
Die Lichter der Nacht auf dem Meer,
Sie zittern auf dunklem Wasser
Verleuchtend hin und her.

Wie die Geister Verstorbener steigen
Aus den Wellen die Nebel empor,
Rings in dem heiligen Schweigen
Wagt sich kein Laut hervor.

Nur manchmal hallen dir wider
Aus Nacht und Nebelgrau
Die wehen, sterbenden Lieder
Der weißen Wasserfrau.

 

Der Autor

Der 1872 in Lindenstadt bei Birnbaum geborene Carl Busse, der auch unter dem Pseudonym Fritz Döring publizierte, zog Anfang der 1890er Jahre nach Berlin. Hier erschienen seine ersten Gedichte, in der Folgezeit etablierte er sich als Lyriker, Verfasser von Erzählungen und Novellen, Herausgeber und Literaturkritiker. Busse veröffentlichte mitunter mehrere Bücher pro Jahr. Am 3. Dezember 1918, kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs, starb er in Zehlendorf an der Spanischen Grippe.