#lyrik: Gift

Wenig ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Die bunten Blumen, die Freude verbreiten sollen, mahnen bei näherer Betrachtung an Abschied und Tod.

Die Farben waren allzu verlockend, als die Blumen tagsüber gepflückt wurden. Doch am Abend wird klar, dass dieser Strauß aus Giftpflanzen besteht. Unruhe macht sich breit, die in der zweiten Strophe noch gesteigert wird. Denn das geliebte „Du“ hat sich vom schönen Schein der Natur ebenfalls blenden lassen.

Die Herbstzeitlosen deuten nämlich nicht nur auf den baldigen Abschied des Sommers hin. Sie enthalten auch ein hochgiftiges Alkaloid, dem sie einige ihrer volkstümlichen Namen (Giftkrokus, Leichenblume oder Teufelswurz) verdanken.

Der Strauß bleibt trotzdem an Ort und Stelle. In der Nähe des Herzens symbolisiert er die Schönheit, aber auch die ständige Bedrohung der Liebe und des Lebens.

Gift

Im lustigen Abendkreise fällt mein Blick
Auf bunte Blumen, die die Brust mir schmücken,
Und plötzlich wird es mir bewusst, die holden,
Die farbenduftig mir am Busen blühn,
Giftblumen sind es, tödtlich ist ihr Saft.

Den schlanken Fingerhut pflückte ich früh,
Und da Du Mittags von den Wiesen kamst,
Brachtest Du lachend mir die Herbstzeitlosen,
Die Ersten, die an Sommer´s Scheiden mahnten.

So haucht und lebt an meinem Herzen nun
Ein farbenleuchtend, wunderholdes Gift,
Wie tief im Herzen selber meine Liebe,
Betäubend und bethörend, süss und tödtlich!

 

Die Autorin

Mit ihrem Gemälde „Mors Imperator“, das ein Skelett im Kaiserornat zeigte und als Anspielung auf den greisen Wilhelm I. gedeutet wurde, löste Hermione von Preuschen 1887 einen handfesten Skandal aus. Es war nicht der einzige Konflikt, der das Leben einer Künstlerin prägte, die als Malerin und bald auch als Schriftstellerin von sich reden machte. Viele ihrer Texte erzählen von Enttäuschungen und Rückschlägen, von fehlendem Respekt und mangelnder Anerkennung. Dass die weitgereiste Künstlerin wuchtige Bildkompositionen liebte und ganze Lyrik-Sammlungen aus der Ich-Perspektive schrieb („Via passionis“, 1895), vertrug sich nicht immer mit dem Geschmacksempfinden späterer Zeiten. Hermione von Preuschen wurde 1854 in Darmstadt geboren und starb 1918 in Berlin/Lichtenrade.