Die Dörfer liegen schläfrig in der Gegend herum, Katzen müssen sich keine Sorgen machen und zu bestimmten Zeiten passiert einfach das, was schon immer zu diesen Zeiten passiert ist: Sterne fallen vom Himmel, Störche spazieren durch Wiesen.
Hier, im Blickfeld der lyrischen Betrachtung, gibt es sogar unvergiftete Landschaften. Andernorts offenbar nicht mehr. Deshalb versucht auch niemand, das vermeintlich sichere Terrain zu verlassen. Die Ahnung einer umfassenden ökologischen Zerstörung geht mitsamt der politischen Frustration im Pflaumenmuskessel unter. Und überhaupt: „Wenn man hier keine Zeitung hält / Ist die Welt in Ordnung.“ Doch was sollen wir von einer Idylle denken, die nur funktioniert, wenn wir nicht über den sprichwörtlichen Tellerrand schauen?
Auf lange Sicht war der statische Sommer, den Sarah Kirsch in ihrem 1976 erschienenen Gedichtband „Rückenwind“ entwarf, jedenfalls nicht zu retten. Noch im selben Jahr wurde sie nach dem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der SED und dem Vorstand des ostdeutschen Schriftstellerverbandes ausgeschlossen. Kurze Zeit später verließ sie die DDR in Richtung Westen.
Im Sommer
Dünnbesiedelt das Land.
Trotz riesigen Feldern und Maschinen
Liegen die Dörfer schläfrig
In Buchsbaumgärten; die Katzen
Trifft selten ein Steinwurf.
Im August fallen Sterne.
Im September bläst man die Jagd an.
Noch fliegt die Graugans, spaziert der Storch
Durch unvergiftete Wiesen. Ach, die Wolken
Wie Berge fliegen sie über die Wälder.
Wenn man hier keine Zeitung hält
Ist die Welt in Ordnung.
In Pflaumenmuskesseln
Spiegelt sich schön das eigne Gesicht und
Feuerrot leuchten die Felder.
Die Autorin
Sarah Kirsch, 1935 in Limlingerode geboren und 2013 in ihrer Wahlheimat Heide verstorben, gilt als eine der meistrezipierten Lyrikerinnen der DDR – und der Bundesrepublik. Ihre detailreichen, präzisen Naturbeobachtungen spiegeln nicht selten gesellschaftliche und zivilisatorische Krisenerscheinungen, auch wenn sie sich kaum als politische Autorin verstanden hätte. Neben zahlreichen Gedichtbänden schrieb Sarah Kirsch auch Kinderbücher und Erzählungen.