#lyrik: Nur dich

Hoffnung und Verzweiflung sind mitunter Momentaufnahmen – und manchmal nur eine Zeile voneinander entfernt.  In einem Gedicht von Else Lasker-Schüler macht ein anderer Mensch einen Neuanfang möglich.

„Immer muß ich wie der Sturm will, / Bin ein Meer ohne Strand“ – die ganze Trostlosigkeit eines fremdbestimmten Daseins ballt sich in diesen beiden Zeilen. Doch nur für einen Moment. Das lyrische Ich trifft ein namenloses Gegenüber, das sich auf die Suche gemacht hat, um dem Leben eine entscheidende Wendung zu geben. Nun eröffnen sich neue Horizonte: „Vielleicht ist mein Herz die Welt …“ .

Aber wer ist der Muschelsucher, der es zum Leuchten gebracht hat?

Nur dich

Der Himmel trägt im Wolkengürtel
Den gebogenen Mond.

Unter dem Sichelbild
Will ich in deiner Hand ruhn.

Immer muß ich wie der Sturm will,
Bin ein Meer ohne Strand.

Aber seit du meine Muscheln suchst,
Leuchtet mein Herz.

Das liegt auf meinem Grund
Verzaubert.

Vielleicht ist mein Herz die Welt
Pocht –

Und sucht nur noch dich –
Wie soll ich dich rufen?

 

Die Autorin

Else Lasker-Schüler wurde 1869 in Elberfeld geboren. Ihrer ersten Lyriksammlung „Styx“ (1902) folgten weitere Gedichtbände, Prosawerke und Theaterstücke („Die Wupper“, 1909). Sie prägte den Expressionismus, wirkte mit ihrer sprachgewaltigen, symbolträchtigen Dichtung, die von jüdischen, christlichen und orientalischen Vorstellungswelten inspiriert wurde, aber weit über diese Epoche hinaus.
1933 emigrierte Else Lasker-Schüler in die Schweiz und später nach Palästina, wo sie 1945 starb. Nicht nur für Gottfried Benn war sie „die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“.