Karol Rathaus (1895-1954) war einer der bedeutendsten unter den vielen vergessenen, verdrängten und verfolgten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ein nach ihm benanntes Ensemble lenkt nun den Blick auf seine exorbitante Kammermusik.
Seine Geburtsstadt Tarnopol heißt heute Ternopil und gehörte in den letzten 500 Jahren zu Polen-Litauen, Österreich(-Ungarn), der Westukrainischen Volksrepublik und der Zweiten Polnischen Republik, der Sowjetunion und der Ukraine. Auch Karol Rathaus´ Leben war von zahlreichen politischen Verwerfungen geprägt – und das in nur 59 Jahren.
Er studierte in Wien und folgte seinem Lehrer Franz Schreker nach Berlin, wo er mit klassischen Kompositionen und Filmmusiken erste Erfolge feierte. Vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten floh Rathaus über Paris nach London, ehe er sich in New York niederließ.
Trotz gelegentlicher Versuche, sein überaus facettenreiches Werk wiederzubeleben, steht er bis heute tief im Schatten berühmterer Kollegen. Weder in seiner Wahlheimat Amerika, noch in den kommunistischen Satellitenstaaten Polens und der Ukraine, noch in Deutschland oder Österreich fand seine eigenwillige Mischung aus Spätromantik und Moderne, die auf jede Orthodoxie verzichtet und stattdessen mit immer neuen Überraschungsmomenten und lyrischen Expressionen aufwartet, unvoreingenommene Zuhörer und Interpreten. Sehr zu Unrecht, wie die Weltersteinspielung zweier kammermusikalischer Werke zeigt, die beide als absolute Repertoirebereicherung gelten dürfen.
Das Trio für Klarinette, Violine und Klavier entstand 1944. Dem elegischen ersten Satz, der einen schwebenden und farbenreichen Dialog zwischen den Instrumenten entfaltet, folgt ein über trotzige Haltepunkte schnell dahinsprudelndes Allegro, ehe das 20minütige Werk in spannungsgeladenen Akkordfolgen „molto con espressione“ ausklingt.
„Con espressione“ heißt es auch im dritten Satz des Trios für Klavier, Violine und Cello von 1953, dessen ebenso feinsinnige wie komplexe Struktur den Zuhörer rätseln lässt, warum sich bislang niemand berufen fühlte, ein so herausragendes Werk auf Tonträger zu bannen. Zumal sich hier auch veritable Bravourstücke für alle Beteiligten finden, wie das virtuose „Andante – Allegro“ eindrucksvoll beweist.
Das Karol Rathaus Ensemble, bestehend aus Aleksandra Hałat (Klavier), Marcin Hałat (Violine), Marcin Mączyński (Cello) und Piotr Lato (Klarinette), holt nun lange Versäumtes nach und liefert mit seiner leidenschaftlichen, aber auch klug disponierten Darbietung gleich eine Referenzaufnahme.
Unterstützung bei der Rathaus-Renaissance bekommt die polnische Formation demnächst aus dem niedersächsischen Osnabrück. Das dortige Theater wird die Saison 2021/22 mit der 1930 in Berlin uraufgeführten und seitdem kaum gespielten Oper „Fremde Erde“ eröffnen.
Karol Rathaus: Piano Trios, Karol Rathaus Ensemble, Dux