Mit Bibel, Pfeife und Mikroskop

Am 26. Juni 1875 öffnet der Westfälische Zoologische Garten in Münster seine Tore. Hinter dem ersten Zoo Westfalens steht ein unkonventioneller katholischer Priester, der sich für Zoologie begeistert, über 1.000 Publikationen herausbringt und bei Bedarf auch Geflügelausstellungen und Volksfeste organisiert.

Hermann Landois wird am 19. April 1835 als Sohn des preußischen Beamten Theodor Landois und seiner Frau Antoinette Josephine Pollack in Münster geboren. Bereits in seinen ersten Schuljahren am Paulinum stellt sich heraus, dass da ein hochtalentierter, aber auch unbequemer Zeitgenosse heranwächst. Sein stark ausgeprägtes naturwissenschaftliches Interesse wird zur unermüdlichen Antriebsfeder, aber auch zu einer fortwährenden Reibungsfläche mit den dominierenden katholischen Vorstellungen und Institutionen in Münster.

Landois studiert Theologie und Naturwissenschaften in seiner Geburtsstadt und erhält dort 1859 die Priesterweihe. 1863 promoviert er an der Universität Greifswald über das Nervensystem der Insekten, 1864 erlangt er sein Staatsexamen und damit die Berechtigung zum Lehramt an Gymnasien. Eine Festanstellung an der Universität Greifswald bleibt ihm als Katholik verwehrt, sodass er 1865 in seine Heimatstadt zurückkehrt und eine Lehrertätigkeit am Paulinum antritt. 1869 habilitiert Landois an der Königlichen Akademie zu Münster im Fach Zoologie, 1871 wird er zudem Direktor des Naturhistorischen Museums der Akademie. Der wissenschaftliche Elfenbeinturm aber ist für den umtriebigen Landois keine Option. Er will viele Menschen erreichen, sie für die Natur begeistern und sensibilisieren. Schnell schwillt die Zahl seiner Publikationen an. So erscheinen ab 1870 beispielsweise Lehrbücher für Zoologie und Botanik, ein Buch über die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, Prosa in Mundart wie die fünfbändige „Frans Essink“-Reihe über einen münsterschen „Paohlbüörger“ sowie unzählige Aufsätze. Am Ende seines Lebens beläuft sich sein publizistisches Werk auf etwa 1.150 Publikationen.

Landois auf den Spuren des Zwergstichlings

Neben seiner Lehrtätigkeit, dem Verkauf selbst angefertigter „Biologien“ (Kästchen mit biologischen Inszenierungen zur Unterstützung der pädagogischen Arbeit) sowie den zahlreichen Publikationen entdeckt Landois zunehmend auch das Vereinswesen als geeignetes Medium, um seine Botschaft zu verbreiten. 1871 gründet er deshalb den Westfälischen Verein für Vogelschutz, Geflügel und Singvogelzucht. Die vom Verein veranstalteten jährlichen Geflügelausstellungen erfreuen sich einer enormen Beliebtheit. Landois erkennt das Potenzial und beginnt mit den Planungen eines Tiergartens. Am 26. Juni 1875 kann er Vollzug vermelden, der erste Zoo Westfalens wird eröffnet.

Konflikte mit Stadt und Kirche

Dieser Erfolg aber wird begleitet von zunehmender Kritik an der Person Landois´. Seine liberale, demokratische Gesinnung kollidiert mit den Vorstellungen der katholisch geprägten Gremien der Stadt. So erhält er bis zu seinem Tod kein politisches Amt, auch die Ehrenbürgerrechte werden ihm vorenthalten. Insbesondere die Aktivitäten zur Finanzierung seiner Projekte stoßen in katholischen Kreisen auf wachsenden Argwohn.  Steine des Anstoßes waren vor allem die Aktivitäten der 1875 von Landois gegründeten „Abendgesellschaft Zoologischer Garten“. Die illustren Abendveranstaltungen, kurzweilige Theateraufführungen mit zum Teil deutlich zum Ausdruck gebrachter Kritik an Themen und Personen, spülten Geld in die Zookasse. Das Publikum liebte diese zum Teil ausschweifenden Veranstaltungen, der Generalvikar Joseph Giese aber tobte. Seine Vorwürfe, Landois habe an Tanzlustbarkeiten teilgenommen, „mit mehreren Frauenpersonen getanzt“ und sich „in trunkenem Zustand befunden“, liefern letztlich die Begründung für seine Suspendierung als Priester. Aus heutiger Sicht wird man die ab 1879 veranstalteten Völkerschauen sehr viel kritischer betrachten. Auch Landois versucht, mit der ➤ menschenverachtenden Zurschaustellung indigener Gruppen Geld zu verdienen, gibt die Schuld aber dem moralisch verdorbenen Publikum: „Es ist ein trauriges Zeichen unserer Zeit, dass die Wissenschaft durch derartige Marktausstellungen ihre materielle Grundlage erhalten muss.“

Über die Vereinbarkeit von Theologie und Naturwissenschaft denkt er deutlich moderner. Sie wird aber vom Bischof infrage gestellt und mit dem Entzug kirchlicher Funktionen geahndet. Doch auch wenn Landois eine Deklaration gegen die von Papst Pius IX. 1871 verkündete Unfehlbarkeit des Papstes unterzeichnet – den Bruch mit der katholischen Kirche vollzieht er nicht. Landois schlägt stattdessen den Weg in die „innerkatholische Selbstisolation“ ein, meint der Kirchenhistoriker Hubert Wolf.

Symptomatisch wurde sie zum einen in der Herausbildung jener charakteristischen Form selbstironischer Eigenbrötelei, in der Uneindeutigkeit jener Gestalt als Münsteraner Original, die Landois eigentümlich unangreifbar machte. Symptomatisch wurde sie zum anderen, indem Landois zum Propagator einer theologiefreien, einer enttheologisierten Naturwissenschaftlichkeit wurde. Nach langjährigem Kommunikationsdefizit zwischen Theologie und Naturwissenschaft, für welches Landois selbst durch angestrengte Vermittlungsbemühungen Abhilfe zu schaffen versucht hatte, so könnte man sagen, willigte nun auch er selbst in die beidseitig gewünschte Trennung ein.
Hubert Wolf

Das eigene Denkmal

1876 gibt Landois auch seine Tätigkeit als Lehrer am Paulinum auf. Die umfangreiche Arbeit für den Zoo und die zahlreichen Vereine führt dazu, dass er kaum noch Zeit für die Forschung aufbringen kann. Ein Großteil seiner Tätigkeit widmet er der Akquise von Geld zur Unterstützung des Zoos. Dieser befindet sich von Beginn an im Eigentum des Westfälischen Vereins für Vogelschutz, Geflügel und Singvogelzucht. 1892 eröffnet Landois auf dem Zoogelände das Naturkundemuseum und lässt sich am Rand des Zoogeländes ein neues Wohnhaus bauen, die Tuckesburg. Hier lebt Landois bis zu seinem Tod am 29. Januar 1905.

Schon zu Lebzeiten lässt Landois sich 1900 vom Bildhauer August Schmiemann ein Denkmal setzen. Original und Denkmal – beide mit Zylinder, Pfeife und Gehstock ausgestattet – auf dem Foto vereint, werden rasch zu einem beliebten Postkartenmotiv. In der Burg soll er zusammen mit seinem (ausgestopften) Affen „Lehmann“ gewohnt haben, verstorben angeblich an einer Säuferleber. Inzwischen ist die Tuckesburg zu einem „ganz normalen“ Wohnhaus geworden.

Hermann Landois findet seine letzte Ruhestätte auf dem Zentralfriedhof in Münster, das Denkmal muss 1974 ebenfalls umziehen. Nachdem das Gelände des alten Zoos an die Westdeutsche Landesbank verkauft wird, erhält der Zoo im Austausch ein neues, großzügig geschnittenes Gelände im Bereich des südlichen Aasees. Das Denkmal des Professors steht heute auf dem Platz, der seinen Namen trägt und erinnert an sein vielfältiges Engagement, zu dem übrigens auch der Umweltschutz zählte. So schrieb Hermann Landois bereits 1891:

Soviel steht aber fest, dass für die Natur der Unverstand des Menschen am schädlichsten ist. Wenn es so fortgeht, wird dereinst die Zeit kommen, wo die Erde durch den Menschen soweit zu Grunde gerichtet ist, dass sie ihn selbst nicht mehr ernähren kann. Das ist hart; aber es wird sicher dazu kommen, wenn der Mensch fortfährt, die Frage der Nützlichkeit einzig und allein auf seinen Geldbeutel zuzuspitzen.
Hermann Landois