Munitionsreste in Nord- und Ostsee

Wer sich auf den Ozeanen bewegt, denkt kaum an die Rückstände von zwei Weltkriegen. Aber sie sind trotzdem da. Allein in der deutschen Nord- und Ostsee liegen nach Expertenschätzungen zwischen 1,3 und 1,6 Millionen Tonnen Munition.

Überreste von Schiffen, U-Booten und Flugzeugen und dazu jede Menge Seeminen, Torpedos, Granaten, Bomben und Patronen – ein Güterzug mit den während des Zweiten Weltkriegs  entsorgten Munitionsresten würde von Kiel bis Rom reichen, schätzen die Mitglieder des europäischen Projekts „North Sea Wrecks“, das von Forschern der U Bremen Research Alliance geleitet wird.

In den nächsten Jahren wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie sich die Munitionsrückstände auf die Flora und Fauna der Nordsee auswirken und welches Risiko für die fortschreitende kommerzielle Nutzung durch Offshore-Windparks oder die moderne kommerzielle Seefahrt besteht.

Wo liegen Wracks? Wissenschaftler sichten Archivunterlagen von Schlachtverläufen.

Mit vier Millionen Euro kofinanziert die Europäische Union das internationale und interdisziplinäre Gemeinschaftsprojekt, das im Grunde seit Jahrzehnten überfällig ist. „Es galt das Motto: Aus dem Auge aus dem Sinn. Man hat die Munitionsreste gar nicht als Problem erkannt“, so der Bremer Unterwasserarchäologe Dr. Philipp Grassel.

Ein waberndes „TNT-Süppchen“

Seit auf Initiative von Polen und Litauen Untersuchungen in der Ostsee durchgeführt wurden, hat sich die Einschätzung der Gefährdungslage allerdings geändert. „Durch die gesamte westliche Ostsee wabert ein TNT-Süppchen“, meint Matthias Brenner, Meeresbiologe am Alfred-Wegner-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Dass es in der Nordsee ähnlich aussieht, darf man vermuten, der höhere Wasseraustausch könnte aber auch zu einer ganz anderen Situation geführt haben. Um hier Klarheit zu gewinnen, konzentrieren sich die Forscher auf militärische Wracks, von denen allein 120 in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone liegen. Beispielhaft werden U-Boote, Zerstörer, Vorpostenboote oder Sperrbrecher unterschiedlicher Art erkundet, um die Bestände an Restmunition abzuschätzen. Jedes „Beispielwrack“ wird dann einer Risikoanalyse unterzogen, an der Toxikologen, Geologen,  Datenbankspezialisten, Modellierer, Historiker und sogar Juristen beteiligt sind, um eventuelle strittige Verantwortlichkeiten in verschiedenen Hoheitsgewässern zu klären.

Die Ergebnisse fließen in eine Software mit Standorten von Munitionsaltlasten für die Nord- und Ostsee ein. Sie kann später Behörden und Wirtschaft zur Risikoeinschätzung dienen. Außerdem wird eine Wanderausstellung konzipiert, die in mehreren europäischen Städten und dann in der Dauerausstellung des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven zu sehen sein soll.

Link zur Projektseite: https://northsearegion.eu/nsw