NS-Bevölkerungspolitik

Braune Relikte (19): Verleihungsurkunde mit Mutterkreuzen.

Die Bevölkerungspolitik im Dritten Reich förderte große Familien. Dabei stand nicht der individuelle Mensch, sondern das Glied einer größeren „Volksgemeinschaft“ im Zentrum. Hinter der äußerlich familienfreundlichen Propaganda stand der reale Umstand, dass „Menschenmaterial“ für den Krieg benötigt wurde.

Im Nationalsozialismus wurde die gesellschaftliche Rolle der Mutter ideologisch verbrämt. Der Muttertag, 1922 im Deutschen Reich eingeführt, wurde ab 1934 fest in das nationalsozialistische „Feierjahr“ integriert. Seit 1938 wurde das von der NSDAP ausgelobte „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ („Mutterkreuz“) an reichsdeutsche Frauen in drei Stufen verliehen (Bronze ab vier, Silber ab sechs und Gold ab acht Kindern).

Aus propagandistischen Gründen wurden Totgeburten mitgezählt, um mehr Mutterkreuze ausgeben zu können und so andere Frauen zu einem ähnlichen Verhalten zu motivieren. Da die Mütter der NS-Ideologie gemäß für „völkisch wertvollen“ Nachwuchs sorgen sollten, konnte das Abzeichen nach Bekanntwerden „rasseideologischer Mängel“ auch wieder aberkannt werden. Bis September 1941 wurden 4,7 Millionen Mutterkreuze verliehen. Ab November 1944 war auch die Auszeichnung „volksdeutscher“ Mütter möglich.

Das goldene Abzeichen, das hier zu sehen ist, erhielt Karoline Drachenberg (1876-1942) nach 1941 in Berlin-Hennigsdorf. Ihre Nachfahren gelangten später nach Osnabrück. Sie besaß 10 Kinder. Das Mutterkreuz in Silber stammt von Cäcilie Lorre geb. Kreuser (1887-1976) aus Lessenich bei Euskirchen. Ihre Tochter war Hausmädchen beim Osnabrücker NSDAP-Kreisleiter Willi Münzer. Münzer stellte ihr ein gutes Zeugnis aus und versuchte nach Kriegsende, von ihr einen „Persilschein“ zu bekommen, was diese jedoch verweigerte. Das Kreuz in Bronze wurde der Großmutter von Gisela Macke aus Osnabrück verliehen. Die Urkunde für die Verleihung des Mutterkreuzes an Josefa Gohmann geb. Lührmann aus Vehrte fand sich in amtlichen Unterlagen. Die Auszeichnung wurde daher offensichtlich nie überreicht, ohne dass die Gründe dafür bekannt wären.

Für die Propagierung der kinderreichen, arischen Familie wurde auch die Kunst eingesetzt. So warb die Reichskammer der bildenden Künste 1937: „Es ist bekannt, mit welchem Nachdruck der Nationalsozialismus das Zweikindersystem bekämpft. Das deutsche Volk ist unrettbar dem Untergang geweiht, wenn dieses System im bisherigen Umfang weiterbesteht. Aus diesem sehr ernst zu nehmenden Tatbestand vertritt die Bewegung und der Staat die Forderung auf mindestens vier Kinder in jeder Familie, um wenigstens die heutige Bevölkerungszahl zu halten. Wo immer die künstlerischen Notwendigkeiten es erlauben […], sollte also auch der bildende Künstler […] wenigstens vier deutsche Kinder zeigen, wenn eine ‚Familie‘ dargestellt wird.“

Mit dem „Lebensborn“ wurde diese Bevölkerungspolitik bis zur Perfidie geführt. Ausgewählte „rassereine“ SS-Männer und Frauen wurden zur Zeugung von Kindern zusammengeführt. Die Kinder wurden ohne die Eltern im Sinne des Nationalsozialismus erzogen. Als „Herrenmenschen“ sollten sie nach Ende der Eroberungskriege in den gewonnenen Gebieten siedeln und herrschen. Heute haben „Lebensborn“-Kinder, die ohne enge emotionale Bindungen aufwachsen mussten, nicht selten mit ihren gebrochenen Lebensläufen zu kämpfen und leiden darunter, dass sie ihre Eltern nicht kennen.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.