Oflag VI c

Braune Relikte 31: Eine Bleistiftzeichnung auf Papier.

Das Offiziersgefangenenlager „Oflag VI c“ im niedersächsischen Osnabrück wies die Besonderheit auf, dass dort 400 jüdische Offiziere der serbischen Armee noch während des Holocaust jüdische Gottesdienste feiern konnten. Ein Beleg für Handlungsspielräume, die Einzelne in bestimmten Situationen nutzen können – wie im Falle des „Oflag VI c“ der Lagerkommandant. Er konnte sich bei seinem Handeln auf die Genfer Konvention berufen, um sich gegen die Judenverfolgung zu stellen.

Am Ende des Krieges zeichnete B. Petricic (von der engen Osnabrücker Bierstraße aus) den Blick auf die Marienkirche. Die Perspektive war nur deshalb möglich, weil die Altstadt durch die Luftangriffe weitgehend zerstört war. Zerstört war auch das Haus der Familie Niehaus, die auf dem im Vordergrund liegenden Grundstück (Bierstraße 32) eine kleine Füllfederhalterproduktion betrieben hatte, bevor sie ausgebombt wurde.

Höchstwahrscheinlich gehörte Petricic zu den in Eversburg internierten jugoslawischen Kriegsgefangenen des Offiziersgefangenenlagers „Oflag VI c“. Während des Angriffs auf Frankreich wurde das Lager in der Eversheide zunächst als bewegliches Auffanglager („Nr. 7 Dorsten“) für französische Kriegsgefangene genutzt und dann am 15. Juli 1940 zum „Oflag VI c“ umfunktioniert. Hier saßen zwischenzeitlich bis zu 5.000 Offiziere der jugoslawischen Armee ein; die Hälfte des Offizierskorps und der gesamte Generalstab, insbesondere serbische Offiziere.

Außergewöhnlich ist der Umstand, dass in diesem Lager noch bis 1944 – also während der Holocaust bereits in vollem Gange war – etwa 400 jüdische und 350 kommunistische Offiziere der serbischen Armee einsaßen. Unter Duldung der Lagerkommandantur konnten die Juden auf Grundlage der Genfer Konvention unter dem Militärrabbiner Hermann Helfgott (1913–2002) in einem dafür hergerichteten Gebetsraum noch regelmäßig jüdische Gottesdienste feiern. Es wurden sogar, verbunden mit einem Leichenzug quer durch Osnabrück, Tote auf dem jüdischen Teil des Johannisfriedhofs bestattet. So hat es der Holocaustüberlebende Helfgott, der sich in Zvi Asaria umbenannte und später niedersächsischer Landesrabbiner wurde, in seinen Erinnerungen überliefert. Bei einem der Luftangriffe auf die Stadt kamen in dem Lager am 6. Dezember 1944 116 der Insassen um, 121 wurden zum Teil schwer verletzt.

Zu den weiteren Besonderheiten des Lagers gehört seine Nachkriegsgeschichte. Da sich in Jugoslawien am 31. Januar 1946 unter dem ehem. Partisanenführer Josip Tito (1892–1980) eine kommunistisch ausgerichtete Föderative Volksrepublik bildete, sah ein großer Teil der königstreuen jugoslawischen Offiziere, die den Krieg im Osnabrücker „Oflag VI c“ überlebt hatten, von einer Rückkehr nach Jugoslawien ab. Stattdessen richteten sie sich auf einen langfristigen Verbleib in der Stadt ein. Um sie und weitere Exilantinnen und Exilanten herum bildete sich mit der Zeit eine neue serbisch-orthodoxe Gemeinde. Da eine Rückkehr immer unwahrscheinlicher wurde, errichtete die Gemeinde zwischen 1964 und 1973 für ihre Gottesdienste an der Wersener Straße eine „Gedächtniskirche“. Das Gebäude, das durch seine besondere, für die Region ungewöhnliche Architektur auffällt, ist ein verkleinerter Nachbau der bekannten, im 14. Jahrhundert entstandenen serbisch-orthodoxen Klosterkirche Hilandar auf dem Berg Athos. Zur Einweihung der Kirche im Jahre 1969 reiste der 1945 in Abwesenheit abgesetzte jugoslawische Exkönig Petar II. Karadordević (1923-1970) extra aus seinem Londoner Exil an. Die serbischen Opfer des Luftangriffes von 1944 wurden auf einem separaten Gräberfeld des Eversburger Friedhofes beigesetzt.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.