Braune Relikte (34): Passfoto, Waffenpass und Fahrerlaubnis.
Die einmarschierten Alliierten übernahmen 1945 die Verwaltung der besetzten Gebiete. Sie hatten die Aufgabe, das ordnungspolitische Vakuum, das durch das Kriegsende entstanden war, so schnell wie möglich zu überwinden und wieder ein System von Recht und Ordnung zu schaffen.
In Osnabrück stellte das britische Militär mit der Kapitulation am 4. April 1945 die Ordnungsmacht – bereits einen guten Monat vor der Gesamtkapitulation. Wohnraum und Versorgungsgüter mussten organisiert, Plünderungen und Gewaltverbrechen eingedämmt und unterbunden werden. Vorrangig galt es, die Sicherung von Ruhe und Ordnung, die Grundversorgung der Bevölkerung und den Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur zu gewährleisten.
Polizeiaufgaben delegierte die britische Militärregierung schnell an deutsche Gendarmen und Polizisten. Zu ihnen gehörte in Osnabrück Günter Halberstadt. Er wurde am 1. Mai 1923 in Essen geboren und nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann fünf Tage nach Prüfungsabschluss 1941 zur Wehrmacht eingezogen. Als Funker bei der Kriegsmarine war er in Genua stationiert. Im Juli 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, nahmen den ausgebombten Vollwaisen Freunde in Bissendorf bei Osnabrück auf. Nach einer kurzen Zeit als Hilfsarbeiter der Britischen Regierung meldete er sich auf eine Ausschreibung von Polizeistellen in Nemden bei Bissendorf. Er beschreibt die damalige Situation als „schizophren“: Alte Polizisten wurden wegen ihrer Parteizugehörigkeit entlassen, stattdessen wurden junge Leute eingestellt, zumeist ehemalige Hitlerjungen.
Er besuchte die Polizeischule in Bramsche in der ehemaligen Webschule und wurde nach kurzer Ausbildung in Osnabrück im Revier 4 „Bramscher Straße/Hafen“ eingesetzt. Mit der „Bescheinigung Nr. 369“ war es dem Anwärter der Polizei (wohnhaft Osnabrück, Bramscher Str. 198a) gestattet, „alle Straßen der Stadt Osnabrück, einschließlich Militärstraße, in Uniform während des Polizeidienstes mit dem Fahrrad zu befahren.“
Nicht alle „Verbrechen“ erschienen damals verfolgungswürdig. Während der Bewachung von Kohlenzügen sah Halberstadt angesichts der frierenden Bevölkerung beim Kohlenklau oft weg. Noch 1946 fanden Raubüberfälle in Stadt und Landkreis statt, zum Teil mit Todesfolge. Deutsche Polizei war für solche Fälle – nicht zuletzt aus Vorsicht gegenüber dem ehemaligen Gegner – nur unzureichend ausgestattet. Auch Günter Halberstadt erhielt für seinen Ordnungsdienst lediglich einen „Knüttel“ genannten Holzstock. In solchen Situationen hofften die deutschen Polizisten deshalb, dass die britische Militärpolizei, die Schusswaffen mit sich führte, schneller als sie selbst eintraf.
Von 1946 bis 1951 war Halberstadt in der Osnabrücker Jugendarbeit engagiert. Seine „Junge Kameradschaft“ war eine politisch und konfessionell unabhängige Gruppe von 14- bis 25-Jährigen, die in ihren Interessen an Geselligkeit, Fahrten und Wanderungen wohlwollende Unterstützung in dem britischen, in der Villa Schlikker ansässigen Jugendoffizier Captain Schüller fanden. Sein Ziel war es, die junge, ideologisch kaum belastete Generation für den Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands zu motivieren. Jugendgruppen konnten die alte Jugendherberge an der Bocksmauer nutzen, das spätere Haus der Jugend.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.