Poesie des Augenblicks

Rosy Wertheim (1888-1949) war eine der ersten niederländischen Musikerinnen, die ihre Leidenschaft zum Beruf machten. Zunächst mit beträchtlichem Erfolg, doch während der Nazizeit musste die aus einer jüdischen Familie stammende Künstlerin im Verborgenen arbeiten. Nach dem Krieg erinnerten sich nur noch Wenige an ihre eleganten, feinsinnigen Werke. Naoko Christ-Kato vermittelt nun einen breitgefächerten Eindruck von Wertheims Klavierkompositionen.

Sie war unabhängig und selbstbewusst, hatte in Amsterdam, Paris, Wien und New York gearbeitet und als Musiklehrerin, Journalistin und Komponistin auf sich aufmerksam gemacht. Doch der deutsche Überfall auf die Niederlande veränderte auch das Leben Rosy Wertheims, die im Untergrund miterleben musste, wie Freunde und Verwandte von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurden.

Nach Jahren der Unterdrückung gingen Krieg und Besatzung zu Ende, doch die musikalische Avantgarde brachte wenig Interesse für eine Künstlerin auf, die Debussy, Ravel und Strawinsky eine „Offenbarung“ genannt, sich ansonsten aber einen sehr eigenen Weg zwischen Spätromantik, Impressionismus und Moderne gesucht hatte. Lyrisch im Tonfall, gediegen in Harmonik und Rhythmik wirken Wertheims mitunter an der Grenze der Tonalität spielende Werke wie poetische Momentaufnahmen, die etwas festzuhalten versuchen, was schon im Zerfallen begriffen ist.

Naoko Christ-Katos stimmungsvoller und ausdrucksstarker Querschnitt beginnt mit der federleichten, aber doch verhalten melancholischen Sonatine aus dem Jahr 1918. Es folgen sechs Porträts, die neben tanzenden Puppen und einem uneingeladenen Gast auch die nicht näher definierte „Quelle des Lebens“ zum Gegenstand haben und von Christ-Kato allesamt als Weltersteinspielungen vorgestellt werden.

Sechs klangvolle Stücke für Klavier führen zum opus magnum dieser Aufnahme, den „Zehn Variationen über ein Thema von César Franck“ aus dem Jahr 1918. Auch dieses einprägsame, formal komplexe und tiefgründige Stück wurde noch nie eingespielt. So unverständlich ein solches Versäumnis ist, erhöht es doch das Verdienst von Naoko Christ-Kato, die sich schon seit Jahren für die (Wieder)Entdeckung und Aufführung von Werken vergessener jüdischer Komponistinnen und Komponisten einsetzt.

Rosy Wertheim’s Wondrous Worlds, Genuin