Aufgelesen (8): Fritz Hochwälders Schauspiel „Das heilige Experiment“
Mehr als 150 Jahre besaß der Jesuitenorden in Südamerika ein eigenes Herrschaftsgebiet unter dem Dach der spanischen Krone. Vorrangiges Ziel war die Missionierung der indigenen Bevölkerung, doch die Padres entwickelten auch soziale, wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Konzepte. 1767 zerschlugen Staat und Kirche das „heilige Experiment“. dem der österreichische Dramatiker Fritz Hochwälder fast 200 Jahre später ein angemessen bröckelndes Denkmal setzte.
Als das Drama beginnt, ist sein Ausgang bereits entschieden. Zwar hat sich der Jesuitenorden ganz offenbar nichts zuschulden kommen lassen. Trotzdem werfen ihm Staat, Kirche und die eigene Ordenleitung das Streben nach staatlicher Unabhängigkeit, Wucherhandel und die Unterdrückung seiner Schutzbefohlenen vor. Die südamerikanischen Siedlungen, die den religiösen Auftrag mit einer sozialen Utopie verbinden sollen, in denen Sklaverei und Todesstrafe abgeschafft und Eigentümer gemeinschaftlich verwaltet werden, beäugen die Mächtigen in der alten Welt mit immer größerem Misstrauen. Vor allem, weil die Reduktionen wirtschaftlich überaus erfolgreich sind.
„Wir bröckeln ab. Ihr sammelt an. Morgen habt ihr fünfunddreißig Siedlungen. In einigen Jahren siebzig. (…) Narren wären wir, wenn wir euch nicht verjagten, solange es noch Zeit ist!“, so beschreibt der spanische Visitator Miura die Haltung der Krone. Sich selbst sieht er deshalb nicht auf der Seite der brutalen Vollstrecker, sondern im Kreis derer, die aus Klugheit resignieren und sich in das scheinbar Unvermeidliche fügen: „Das Reich Gottes ist beim Teufel!“
Aber auch Papst und Ordensvorstand wissen mit dem eigenwilligen Utopia nichts anzufangen. „Diese Art von Christen sind uns nicht erwünscht“, befindet der Legat des Jesuitengenerals, denn schließlich hätten sie es nur auf weltliche Vorteile abgesehen. Aber Gott sei schließlich kein Politiker.
Der Provinzial des Jesuitenstaates Alfonso Fernandez steht vor den Trümmern seines Lebenswerkes. Während sein Weltbild ins Wanken gerät, scheint sein Glaube ihm einen Ausweg anzudeuten: „In solchem Fall Widerstand zu leisten, ist Forderung der Religion.“
Tiefe Einblicke
Hochwälder schrieb „Das heilige Experiment“ mitten im Zweiten Weltkrieg und griff nicht nur thematisch, sondern auch formal weit in die Vergangenheit zurück. Das dramatische Geschehen ereignet sich in wenigen Stunden des 16. Juli 1767, alle fünf Akte spielen in einem Raum des Jesuiten-Kollegs von Buenos Reiches. Die Einheit von Handlung, Zeit und Ort ist freilich weniger eine Verbeugung vor Aristoteles als Teil einer äußersten Verdichtung der literarischen und darstellerischen Mittel.
Ihr entspricht der Verzicht auf Nebenhandlungen, die schnelle Abfolge der Ereignisse, die schnörkellose Sprache sowie die Beschränkung auf ein rein männliches Figurenarsenal, von dem wiederum nur eine Handvoll tragende Rollen übernimmt. Die Verursacher und Entscheidungsträger bleiben im Hintergrund und werden nur durch ihre Opfer und Vollstrecker sichtbar.
Das Bemerkenswerte an Hochwälders Schauspiel ist wohl seine Ambivalenz, die sich nicht in dem Befund erschöpft, dass Macht und Schuld scheinbar untrennbar miteinander verbunden sind. Der Autor schreitet auch die Grenze ab, an der sich Menschen, die aus der Religion eines Handlungsauftrag für das Diesseits ableiten, von denen trennen, die erst nach dem Tod mit der Erfüllung aller Heilversprechen rechnen.
Vor allem aber ist Fritz Hochwälder weit davon entfernt, den Jesuitenstaat als sozialistisches Utopia zu glorifizieren. Keine Frage, die Padres gehen mit der indigenen Bevölkerung sehr viel menschlicher um als die europäischen Kaufleute und Sklaventreiber. Doch als ihresgleichen behandeln sie die Einheimischen nicht. „Die Indios sind es gewöhnt, daß wir für sie denken“, gibt der Provinzial zu Protokoll und offenbart so das koloniale Element im Denken vieler Volksbeglücker.
Dramatiker der Zweiten Republik
„In der guten alten Zeit, die sich gerade anschickte, den Ersten Weltkrieg vorzubereiten“, kam Fritz Hochwälder am 28. Mai 1911 als Sohn assimilierter Juden aus Galizien zur Welt. Er absolvierte eine Tapeziererlehre im väterlichen Betrieb, die immerhin dazu führte, dass er ein halbes Jahrhundert später Ehrenmitglied der Wiener Tapezierer-Innung wurde.
Hochwälders große Liebe gehörte aber der Literatur. Im Schweizer Exil schrieb er 1942 innerhalb von zwei Monaten „Das heilige Experiment“, das nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der meistgespielten zeitgenössischen Theaterstücke avancierte. Auch „Der öffentliche Ankläger“ (1947), „Donadieu“ (1953), „Die Herberge“ (1955) oder „Der Himbeerpflücker“ (1965) fanden bedeutende Uraufführungsbühnen und ein großes Publikum. Sein Ruf als bedeutendster Dramatiker der Zweiten Republik wurde durch zahlreiche Ehrungen unterstrichen.
Dabei machte es Hochwälder weder sich selbst noch den Zeitgenossen leicht, die „endlich“ einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollten. Immer wieder thematisierte er den Rassenwahn der Nationalsozialisten, dem beide Elternteile zum Opfer fielen, aber auch die Auswirkungen des Dritten Reiches auf die Nachkriegsgesellschaft.
Mit den Jahren wurde es immer stiller um Fritz Hochwälder, sicher auch, weil die traditionelle Faktur seiner Werke als nicht mehr zeitgemäß angesehen wurde. Er starb am 20. Oktober 1986 in Zürich. Erst nach seinem Tod wurde das 1961 geschriebene Schauspiel „Holokaust“ veröffentlicht.