Rasendes Zeitmaß und viel Ausdruck

Paul Hindemith war nicht nur einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, er beherrschte auch ein oft unterschätztes Instrument mit seltener Perfektion. Für viele Bratscher bedeuten seine vor rund 100 Jahren entstandenen Sonaten für Viola und Klavier bis heute eine Grenzerfahrung. Auf einer neuen Einspielung stellt sich Maria Shetty den exquisiten Werken. Sie wird von der Pianistin Monika Wilińska-Tarcholik begleitet.

Wenig klingt einschmeichelnder, ja romantischer als die ersten Takte der Sonate op.11. Nr.4, die Hindemith im Jahr 1919 zu Papier brachte. Maria Shetty und Monika Wilińska-Tarcholik kosten die Phantasie bis zur letzten Note aus, wohl wissend, dass es bald schneller und ungebärdiger wird – in den sich übergangslos anschließenden Folgesätzen dieses Stückes, vor allem aber in der drei Jahre später komponierten Sonate op.25 Nr.1.

Dass Hindemith gern in der Eisenbahn komponierte und sich überhaupt vom Tempo der Moderne inspirieren ließ, illustrieren die 90 Sekunden des viertes Satzes, dem er die eigenwillige Beschreibung „Rasendes Zeitmaß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache“ zuteil werden ließ. Doch die Sonate, die Hindemith noch im Speisewagen des von Frankfurt zum Uraufführungsort Köln brausenden Zuges vollendet haben will, lässt es auch langsamer, bedächtiger, nachdenklicher angehen. Im ersten, dritten und fünften Satz verlangt Hindemith eine „breite“ Darbietung, „sehr langsames“ Tempo und vor allem „viel Ausdruck“.

Maria Shetty und Monika Wilińska-Tarcholik werden den unterschiedlichen Anforderungen gerecht, bleiben trotzdem tonschön und verlieren sich auch in der Sonate op.25 Nr.4 weder in den atemberaubenden Tempobeschleunigungen noch an den lyrischen Ruhepunkten. Mit großem Einfühlungsvermögen und starkem Formbewusstsein betrachten sie die Sonaten immer in der Gesamtheit und ein wenig aus der Vogelperspektive. Die Interpretation ist sich ihrer selbst bewusst und läuft nicht Gefahr, den roten Faden aus dem Blick zu verlieren. Hindemith hätte das vermutlich gefallen.

Einziger Kritikpunkt bleibt so die kurze Spieldauer der CD von gerade einmal 45 Minuten. Auch aus Gründen des Vergleichs mit einem späteren Werk desselben Genres hätte sich vielleicht noch die Einspielung der Sonate aus dem Jahr 1939 angeboten.

Paul Hindemith: Sonaten für Viola & Klavier, DUX