Raub und Profit

Braune Relikte (26): Trinkglas und Tellerset mit Blumendekor

In puncto Kriegsbeute ist meist die Raubkunst präsent, z.B. die für Hitlers geplantes „Führermuseum“ in Linz konfiszierten Kunstwerke. Wenig wird darüber gesprochen, dass viele „Volksgenossen“ und „Volksgenossinnen“ von den Beschlagnahmen und Plünderungen in den eroberten Gebieten profitierten. Besonders perfide war die Verwertung der Habe deportierter jüdischer Familien.

Während des Krieges profitierte die Bevölkerung in Osnabrück, wie im gesamten Deutschen Reich, von zahlreichen öffentlichen Verkaufsaktionen, bei denen – als Möbelauktionen getarnt – enteigneter Hausrat deportierter jüdischer Familien günstig erworben werden konnte. Mit der ersten Deportation der in Osnabrück ansässigen Juden und Jüdinnen am 13. Dezember 1941 begann die Verwertung des zurückgelassenen jüdischen Eigentums. Die von den Deportierten selbst angefertigten Bestandslisten wurden von der Gestapo geprüft und das Gut von den zuständigen Ministerien anschließend entweder selbst verwendet oder umverteilt. Die Gegenstände stammten auch aus besetzten Gebieten wie den benachbarten Niederlanden oder Frankreich.

Allein 1943 und 1944 fanden in Osnabrücker Schulen, im Schloss und im beschädigten Kaufhaus Leffers über 110 solcher „Judenauktionen“ (= „Aktion M“) statt. Oberbürgermeister Gärtner z.B. ließ öffentlich annoncieren:

Verkauf von Wohnungseinrichtungsgegenständen. Heute, Dienstag, 30. März 1943, findet ab 8.00 Uhr in der Reithalle des Landgestütes in Eversburg ein Verkauf von Wohnungseinrichtungsgegenständen aller Art für die Fliegergeschädigten, Volksgenossen der Ortsgruppe Wakhegge statt. (Kinderreiche Volksgenossen und sonstige Bezugsberechtigte können – soweit noch Vorrat vorhanden – am gleichen Tage ab 14 Uhr kaufen.)

Selbst wenn ein Schamgefühl aufkommen sollte, hielt es offensichtlich die wenigsten davon ab, die Gelegenheit zu nutzen und sich des Hausrats zu bemächtigen. Als achtjähriger Schüler der Altstädter Volksschule erlebte der Osnabrücker Erich Marquardt in seiner Schule am Wall eine der zahlreichen Verkaufsauktionen:

Vor allem Ausgebombte sollten sich dort mit Ersatz für ihren durch Bomben verlorenen Hausrat eindecken. Obwohl wir nicht ausgebombt waren, besuchten meine Eltern diese Ausstellung. Meine Mutter sah dort dieses Glas und nahm es mit, wohl in dem Bewusstsein, dass die ursprünglichen Besitzer es doch nicht wiederbekommen würden. Meine Eltern kamen von dieser Ausstellung erschüttert zurück. Meine Mutter sagte angesichts halb geleerter Babyflaschen und anderer Dinge, die auf einen erzwungenen überstürzten Aufbruch hindeuteten, ganz entsetzt: ‚Wenn dies mal eines Tages auf uns zurückfällt, dann Gnade uns Gott.‘

Die meisten dieser Gegenstände überdauerten in deutschen Haushalten viele Jahrzehnte, ohne dass ihr Hintergrund offenkundig wurde. Erst durch jüngere Erbschaften traten hier und dort ihre Geschichten wieder hervor; so bei Doris Unnerstall. Ihre Großmutter († 1994) vermachte ihr Anfang der 1990er Jahre sechs fast neuwertige Essteller „Limoges, France“ mit Blumendekor. Sie stammen vermutlich aus einer der Haushaltsauktionen in Osnabrück während des Zweiten Weltkriegs. Die Großmutter hatte die Teller so wenig genutzt, dass ihre Enkelkinder ganz überrascht waren, als sie die Teller verschenkte. Auf die Frage, woher die Teller denn stammten, antwortete die Großmutter nur knapp: „Die stammen von den Juden.“

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.