Rechenschaft

Braune Relikte (36): Zeitungsbericht über den ersten Kriegsverbrecherprozess in Osnabrück.

Während der „Nürnberger Prozesse“ wurden NS-Politiker und Militärs für ihre Taten zur Verantwortung gezogen. Die Komplexität des Militärgerichtsverfahrens zeigte die Problematik, die Verantwortlichen derartiger Verbrechen zu erfassen. Trotz guter Vorsätze verharrte das Verfahren in den Ansätzen. Die weitere juristische Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft blieb unvollkommen.

Größere Akzente setzten 1958 der Ulmer Prozess zur SS-Einsatzgruppe A in Tilsit und der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-65). Vielen Tätern konnte nach damaliger Rechtsauffassung keine unmittelbare Täterschaft nachgewiesen werden. Nazis wie der NSDAP-Ortsgruppenleiter Erwin Kolkmeyer, der in Osnabrück ein Uhrengeschäft führte, Nazis also, die vor Ort in den Städten und Gemeinden das Geschehen bestimmt hatten, kamen in der Regel mit geringen Strafen davon, falls sie überhaupt gefasst werden konnten. Gar nicht belangt wurden diejenigen, die am Rande klatschten, mitgrölten oder bewusst wegschauten.

Am 20. Dezember 1945 kam es in Osnabrück zum ersten Kriegsverbrecherprozess. Am 28. Februar des Jahres waren bei Bohmte zwei Piloten der RAF zur Notlandung gezwungen worden. Die beiden Kriegsgefangenen wurden kurz nach ihrer Verhaftung erschossen. In dem Prozess wurden die vier Bohmter Angeklagten August Büning, Friedrich König, August Bredford-Teckener und Norbert Müller schuldig gesprochen, gegen die Hager Konvention verstoßen und die Gefangenen getötet zu haben. Das vollstreckte Urteil lautete auf Tod durch den Strang.

Geringes Unrechtsbewusstsein

Nachdem die Alliierten die KZ’s befreit hatten und der Dimensionen des Holocaust gewahr wurden, sollte auch die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung juristisch verfolgt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft in Oldenburg hatte sich bereits seit November 1945 bei den Alliierten erfolgreich darum bemüht, Verfahren wegen der Pogromnacht von 1938 in deutscher Regie durchführen zu dürfen. Die Ermittlungen wurden jedoch erschwert, weil sich viele Tatverdächtige noch versteckten oder in alliiertem Gewahrsam befanden.

Erst am 19. Juli 1949 konnte der Osnabrücker Oberstaatsanwalt Erwin Kolkmeyer (1899-61) u.a. wegen der Beteiligung am Synagogenbrand und wegen der Verhaftung jüdischer Bürger im November 1938 anklagen. Der wohl radikalste Osnabrücker Nazi hatte sich 1945 noch vor Einmarsch der Alliierten abgesetzt, wurde aber 1947 in Heilbronn aufgegriffen. Mit angeklagt waren: der ehemalige Kreisleiter Wilhelm Münzer, Ortsgruppenleiter Rudolf Arnoldi, SS-Untersturmführer Karl Wachsmann und SD-Führer Walter Meyer, ferner die ehemaligen SA-Angehörigen Heinz Kelterborn, Hermann Knopf sowie Christian und Friedrich Schröder. Ihnen wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Landfriedensbruch, Freiheitsberaubung und Körperverletzung vorgeworfen. Kolkmeyer soll sich direkt an der Brandstiftung sowie an der Verhaftung des betagten Raphael Flatauer und der Verwüstung des Geschäfts Samson David in der Krahn-/Ecke Hegerstraße beteiligt haben. Am Ende wurde er wegen seiner Taten in Osnabrück und Recklinghausen zu insgesamt drei Jahren Haft verurteilt.

In den „Nürnberger Prozessen“ wurden die Hauptverantwortlichen der NS-Verbrechen der Nazizeit zur Rechenschaft gezogen. Das Verfahren gegen die 22 sog. Hauptkriegsverbrecher begann am 20. November 1945 und führte zu 12 Todesurteilen gegen Bormann (in Abwesenheit), Frank, Frick, Göring, Jodl, Kaltenbrunner, Keitel, von Ribbentrop, Rosenberg, Sauckel, Seyß-Inquart und Streicher. Göring entzog sich dem Urteil durch Selbstmord. Die übrigen wurden am 16. Oktober 1946 gehängt. SS, SD, Gestapo und das Führerkorps der NSDAP wurden als verbrecherische Organisationen verurteilt. Bis 1949 folgten 12 Nachfolgeprozesse. Augenfällig war das geringe Unrechtsbewusstsein der Angeklagten und Verurteilten.

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.