Braune Relikte (17): Gedenktafel für eine zerstörte Synagoge
Der Bau der Synagoge in der Rolandstraße war im Jahr 1906 sichtbarer Ausdruck für die Etablierung der jüdischen Gemeinde im wilhelminischen Osnabrück. Mit 474 Mitgliedern hatte sie zahlenmäßig ihren Höhepunkt erreicht.
Der vom Historismus der Hannoverschen Architekturschule geprägte Kölner Architekt Sigmund Münchhausen (Paderborn 1858–1924 Köln) entwarf seinen Synagogenbau in einem selbstbewussten, unterscheidbaren Stil. Das Gebäude bot 400 Gemeindemitgliedern Platz und galt als „Zierde unserer Stadt“. Vom 9. auf den 10. November 1938 wurde es in der Reichspogromnacht geplündert, durch Brand zerstört und danach vollständig abgerissen. Gemeindemitglieder wurden misshandelt und inhaftiert, bis zu 90 Männer in das KZ Buchenwald gebracht.
Die Maßnahmen verschärften sich so, dass sich der Holocaust bereits abzeichnete. Die jüdische Bevölkerung musste zunehmend ihre Häuser und Wohnungen aufgeben und in sog. Judenhäuser zusammenziehen. Bis 1940 diente das ehemalige Geschäftshaus der Gebrüder Flatauer (Möserstraße 26) als Versammlungsort der wenigen noch in der Stadt lebenden Gemeindemitglieder. Seit 1. September 1941 war das Tragen des „Judensterns“ obligatorisch. Ende 1941 begannen die Deportationen. Der erste Transport ging nach Riga. Nach der Befreiung Osnabrücks wurde das Klassenzimmer im unversehrt gebliebenen Gemeindehaus in ein provisorisches Gebetshaus umgebaut und am 19. August 1945 eröffnet. Die Briten stellten der Gemeinde eine Thorarolle zur Verfügung, die aus dem Lager Bergen-Belsen stammte. Im Oktober 1945 lebten 45 Juden in der Stadt Osnabrück, im Februar 1946 nur noch 42, darunter 12 gebürtige Osnabrücker*innen.
Zum Gedenken an die Pogromnacht richtete die Stadt auf Antrag der Israelitischen Gemeinde Ende 1949 an dem alten Standort der Synagoge eine erste Erinnerungsstele mit zwei Bronzetafeln ein, die die Straßenfront der Synagoge darstellen. Flache Steinbänke mit Inschriften links und rechts der Stele besagten: „Gottlose Menschen zerstörten im Jahre 1938 die hier gestandene Synagoge.“ Als 1969 für die damals 64 Gemeindemitglieder „In der Barlage“ eine neue Synagoge entstand, wurde die Gedenkanlage an ihren Seiteneingang verlegt. Auf Beschluss des Stadtrates wurde der früher vor der ehemaligen Synagoge gelegene Straßenteil der Rolandstraße 1978 – 40 Jahre nach der Pogromnacht – in „Alte-Synagogen-Straße“ umbenannt.
1980 entstand an der nördlichen Seitenfassade des Regierungsgebäudes auf Anregung der Gemeinde die bis heute bestehende Anlage mit den drei Gedenktafeln. Dabei wurde eines der beiden Bronzereliefs mit der Synagogenansicht von der ersten, 1949 eingerichteten Gedenkstätte neu verwendet. Zudem weihte die Stadt 2004 auf der Grenze des ehemaligen Synagogengrundstücks ein neues Mahnmal ein. Seine 161 Gitterstäbe erinnern an die ermordeten Osnabrücker Juden und Jüdinnen. Heute ist die jüdische Gemeinde mit ca. 1.000 Mitgliedern, die insbesondere aus der ehemaligen UdSSR stammen, die zweitgrößte Niedersachsens. 2008–2010 wurde die Synagoge erweitert. Die Gemeinde Osnabrück ist Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Osnabrück e.V. 2011 eröffnete die „König David“-Kindertagesstätte als erster jüdisch-christlicher Kindergarten und 2012 die „Drei-Religionen-Schule“.
Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.