Seit einigen Jahren werden Boris Blachers Opern wieder häufiger gespielt. So auch sein Kammerstück „Romeo und Julia“. Manuel Schmitts Neuinszenierung an der Deutschen Oper am Rhein beweist nicht nur die Bühnentauglichkeit, sondern auch die multimediale Verwendungsfähigkeit der eigenwilligen Shakespeare-Adaption.
1943, mitten im Zweiten Weltkrieg, entschließt ein als Vierteljude stigmatisierter Komponist, das mutmaßlich populärste Theaterstück eines verfeindeten Landes zu vertonen. Boris Blacher kürzt das berühmte Geschehen auf eine Stunde und das Orchester auf zwei Handvoll Instrumentalisten. Neben ariosen und deklamatorischen Elementen gibt es ziemlich viel Jazz und außerdem einen Diseur, der mit verfremdeten Chansons durch das Programm führt.
Manuel Schmitt zeigt in seiner ebenso schlichten wie schlüssigen Produktion, dass Provokationen und subversiver Klamauk kein Selbstzweck sind. Das große Gefühl und die kleine Freiheit werden so unbarmherzig verfolgt wie im Shakespearschen Original, denn Romeo und Julia stehen in der Partitur und auf ihrem von Brettern, Stegen und Geländern begrenzten Aktionsraum (Bühnenbild & Kostüme: Heike Scheele) unter permanenter Beobachtung.
Der omnipräsente Chor misstrauischer Verwandter und Beobachter beschränkt sich nicht aufs Zuschauen oder gelegentliche Kommentare. Er bewacht die widerspenstigen Protagonisten, verfolgt sie jederzeit und überallhin – ein Effekt, der durch die unsichtbaren Zuschauer des Streaming-Angebots, das sich aus sechs Kamera-Perspektiven zusammensetzt, noch einmal vervielfältigt wird.
Doch je mehr Augen sie anstarren, desto einsamer wird es um die beiden einzigen menschlichen Wesen, die sich der gesellschaftlichen Uniformität entgegensetzen, unter dem massiven Druck aber immer mehr voneinander entfernt werden. So entsteht ein klaustrophobisches Gebilde, in dem sich die Hoffnung, dass ein magisches Erlebnis auch im allerletzten, permanent bedrohten Raum noch möglich ist, mit der Befürchtung abwechselt, dass der Untergang nicht mehr aufgehalten werden kann.
Lavinia Dames (Julia) fremdelt ein wenig mit den kabarettistischen Abweichungen von der Weltliteratur, weiß stimmlich aber durchaus zu überzeugen. Prägnante Rollenporträts gelingen Jussi Myllys (Romeo), Florian Simson (Chansonnier) und Katarzyna Kuncio (Lady Capulet), während Christoph Stöcker das rastlos-elektrisierende Widerspiel von Instrumentalisten, Chorsängern und Solisten souverän zu ordnen weiß.
Boris Blacher: Romeo und Julia, Deutsche Oper am Rhein. Die Aufzeichnung aus Duisburg vom März 2021 ist noch bis zum 17. Oktober 2021 auf der Europäischen Streaming-Plattform „OperaVision“ zu sehen.