Scheindemokratie

Braune Relikte (10): Ein „Wahl“-Plakat und JA-Münzen

Der brennende Reichstag vom 27. Februar 1933 ist das Symbol für die Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie durch den Nationalsozialismus. Der politische Gegner wurde verfolgt und interniert, teilweise gefoltert und ermordet. „Wahlen“ gerieten bald zu manipulierten Plebisziten ohne demokratischen Wettbewerb.

Die NS-Geschichte veranschaulicht, unter welchen Bedingungen ein Rechtsstaat mit demokratischen Strukturen sukzessive ausgehöhlt werden und in eine Diktatur übergehen kann. Im Umkehrschluss zeigen sich die Voraussetzungen für das Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens, das seine Staatsbürger*innen und ihre parlamentarischen Vertreter*innen regelmäßig verteidigen müssen.

Der Hass auf den Parlamentarismus gehört zu den frühesten Motiven des Nationalsozialismus, auch als Ablehnung eines westlichen Politikverständnisses. Den Reichstag diffamierte Hitler als „Schwätzerinstitution“. In diesem Bild spiegelt sich der totalitäre Machtanspruch, der anstelle rechtsstaatlicher, demokratisch geregelter Entscheidungsprozesse in regelmäßig wechselnden Mehrheiten über gleichberechtigten Meinungsaustausch und Kompromissbildungen im politischen Diskurs autoritäre Entscheidungen in einer streng hierarchischen Diktatur nach dem Führerprinzip vorsah.

Symptomatisch war der Brand des Reichstags vom 27. Februar 1933, der den Nationalsozialist*innen die passende Gelegenheit bot, um die Demokratie abzuschaffen. Die politische Konkurrenz wurde verfolgt, interniert, gefoltert und ermordet. Mit der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar 1933 wurden die wichtigsten Grundrechte der Weimarer Verfassung – Freiheit der Person, Presse-, Vereins-, Versammlungsfreiheit, Post- und Fernsprechgeheimnis u.a. – handstreichartig außer Kraft gesetzt.

Obwohl die Reichstagswahl vom 5. März 1933 schon nicht mehr unter rechtsstaatlichen Bedingungen stattfand und der Wahlkampf der NSDAP durch Spenden der Industrie einseitig unterstützt wurde, erhielt die Partei keine absolute Mehrheit (43,9 %). Diese ergab sich erst durch eine Koalition mit der DNVP und die Annullierung der kommunistischen Stimmen (12 %). Das von Hitler am 23. März in den Reichstag eingebrachte „Ermächtigungsgesetz“ erlaubte der Regierung, künftig unter Umgehung des Parlaments als eigentlicher Legislative verfassungsändernde Gesetze zu erlassen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit kam zustande, da außer den Sozialdemokraten alle noch verbliebenen Abgeordneten der bürgerlichen Parteien für das Gesetz stimmten. Damit war die Gewaltenkontrolle endgültig aufgehoben.

Bei den drei Reichstagswahlen, die Hitler danach noch abhalten ließ (12. November 1933, 29. März 1936, 10. April 1938), um formal den Schein demokratischer Prinzipien zu wahren, stand lediglich die NSDAP-Einheitsliste zur „Wahl“. Bei diesen manipulierten Plebisziten ohne demokratischen Wettbewerb erlaubten die „Wahlzettel“ nur ein „Ja“. Die Reichstagswahl vom 12. November 1933 wurde mit der Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund verbunden. Einige Parteilose, die als „Gäste“ ebenfalls auf der Einheitsliste kandidierten, suggerierten eine politische Alternative.

Die Regierung erhielt die gewünschten Ergebnisse: Bei 95,2 % Wahlbeteiligung stimmten 92,2 % für die Einheitspartei und 95,1 % für den Völkerbund-Austritt. Mit der Volksabstimmung vom 19. August 1934 ließ sich Hitler die Personalunion von Reichspräsidentschaft und Reichskanzlerschaft absegnen (88 % Ja-Stimmen).

Das Plakat zum Plebiszit über den „Anschluss“ Österreichs am 10. April 1938 verdeutlicht sehr gut das nun geltende autoritäre Prinzip der Diktatur: Der „Führer“ entschied: „‚Ich habe so gehandelt, wie ich es allein als Deutscher vor der Geschichte unseres Volkes, vor den vergangenen und lebenden Zeugen unserer Volkgemeinschaft, vor dem heiligen Deutschen Reich und meiner geliebten Heimat verantworten kann! Hinter dieser meiner getroffenen Entscheidung aber stehen nun 75 Millionen Menschen und vor ihr steht von jetzt ab die deutsche Wehrmacht!‘ Adolf Hitler“. Und das „Volk“ bestätigte ihn darin: „Wir bekennen uns am 10. April zu der Entscheidung des Führers durch unser Ja!“

 

Zu dieser Serie
Es ist die Geschichte einer Stadt, doch was hier geschah, ereignete sich auch in vielen anderen deutschen Städten. Die Serie „Braune Relikte“ basiert auf der Sammlung Nationalsozialismus, die sich im Museumsquartier Osnabrück befindet. Anhand von Objektbiografien wird die Geschichte des Nationalsozialismus mit seinen Ursachen und Folgen veranschaulicht. So entsteht ein virtueller Lernraum, der die Fundstücke einer Diktatur analysiert, um Lernprozesse für demokratische Gesellschaften zu ermöglichen.